Montag, 17. März 2014

„Bin ich der einzige, der klatscht?“ – SG Schorndorf gegen SV Hertmannsweiler


Kassenhäuschen im Dornröschenschlaf
Auf dem Weg zur SG:  Namensgeber
und lange Zeit Sponsor der Ringer
Das fußballerische Schorndorf war immer eine Art Zwitterwesen: nie fand die Balltreterei in der Daimlerstadt eine Hochburg, aber ganz unbedeutend war der Sport dort auch nicht. Zu allem Unglück standen die Fußballer oft genug im Schatten der Leichtatlethen aus dem eigenen Verein oder der Ringer des ASV Bauknecht, der immerhin eine Deutsche Meisterschaft vorweisen kann.

Die Fußballtradition hoch hielt der immerhin 1903 gegründete VfL Schorndorf, dessen große Zeit nach dem  Zweiten Weltkrieg begann, der aber auch schon Lokalrivale der Gmünder Normannia vor dem Ersten Weltkrieg war. So mußte 1911 ein Entscheidungsspiel in Aalen um die Meisterschaft der C-Klasse zwischen Schorndorf und den Normannen entscheiden. Gmünds Josef Pauser erinnerte sich 1933: Die Schorndorfer, fast durchweg kräftige Gestalten, konnten schon rein körperlich Respekt einflößen, und als sie noch vollends bei dem kurzen Üben vor Spielbeginn ihre Schüsse aufs Tor jagten, da konnte es sich nur noch darum handeln, wie hoch die Normannen verlieren würden. Auch wenn der Rückblick durch die Jahre etwas verklärt gewesen sein mag und der Gegner möglicherweise nur überhöht dargestellt werden sollte - Normannia gewann schließlich gegen diese Hünen mit 3:1 - so dürften die Remstäler nicht ganz so schlecht gewesen sein.

Zeuge besserer Fußballtage: "Altlache"
1952 wurde der VfL Meister der fünftklassigen Bezirksklasse und stieg nach Relegationsspielen in die 2. Amateurliga auf, stieg aber auch sofort wieder ab. Erst 1961 blickten Schorndorfs Fußballanhänger wieder voller Stolz auf ihren VfL, als diesmal der Aufstieg für eine längere Dauer angelegt war. Eine Hochphase im Schorndorfer Fußball begann. Heute noch erinnern sich ältere Schorndorfer gerne an die Duelle im heimischen Stadion Altlache gegen den Nachbarn FC-TV Urbach, der aber meistens die Oberhand behielt, und 1966 stieg das Team erstmals in die Amateurliga Nordwürttemberg auf.

1978 gehörte der VfL sogar zu den Gründungsmitgliedern der Verbandsliga Württemberg. Nach dem Abstieg 1984 spielte man allerdings keine große Rolle mehr im Württembergischen Fußball, war selbst in der Landesliga oft genug nur Mittelmaß. Fast schon überraschend mutet da der 2. Platz 1989 hinter Viktoria Backnang an.

Die große Nummer im württembergischen Fußball waren die Fußballerinnen, die siebenmal an der Deutschen Meisterschaft und dreimal am DFB-Pokal der Frauen teilnahmen.

Anfang der Neunziger Jahre kam es zur Fusion mit TuS Schorndorf, in dessen Vereinsgeschichte u.a. der SKV Schorndorf drinsteckte, der 1971/72 auch mal kurz in der 2. Amateurliga vorbeischaute, und u.a. sein Heimspiel gegen den VfL mit 2:7 verlor.
Das neue Vereinsgebilde erhielt den Namen SG Schorndorf 1846 und ist der klassische Großsportverein mit mehreren Abteilungen, die teilweise florier(t)en. Fußballerisch rissen weder Männer noch Frauen die Bäume aus, die Herren stürzten sogar bis in die Kreisliga B und stehen zur Zeit auf Platz 2 der Kreisliga A. Grund genug für mich, nach meiner gestrigen Bahn-Odyssee nach Albstadt zur Entspannung das Spiel der SG gegen den 1952 gegründeten SV Hertmannsweiler zu besuchen.



Hertmannsweiler, ein Ortsteil von Winnenden, ließ im Spieltag zuvor den TSV Schlechtbach, den Tabellendritten, stolpern, und die Schorndorfer hofften, dies mit einem heutigen Sieg ausnutzen zu können um wenigstens den Relegationsplatz zu sichern. Die Gastgeber hingegen bewiesen Moral, als sie sehr früh in Unterzahl gerieten und dennoch ein Spiel drehten. Entsprechend war die Zuversicht am Sonntag.

Vom Bahnhof führt der Weg zur SG ca. 25 Minuten an einer vielbefahrenen Straße entlang, ehe man am Remsufer auf die sogenannte Altlache trifft, wo einst vor vollem Haus der VfL kickte. Für die heutige SG ist die etwas traurig dreinblickende Anlage aber offenbar overdressed, und ich muß über einem schlecht asphaltierten Weg zu einem Nebenplatz am Tennisheim pilgern. Ein Zettel am alten Kassenhäuschen weißt mir die Richtung.

"Spiel findet Hinten statt".
Ah, endlich. Ein Spielfeld und 2 Teams.
Nun ja, keine altehrwürdige Fußballarena aus vergangenen Tagen sondern ein seelenloser Hartplatz, wie er halt in der Kreisklasse so vorkommt, sinniere ich beim ersten Rundgang. Noch nicht einmal Bandenwerbung ziert den Platz. Würstchen vom Grill werden neben Limo feilgeboten, und am Eingang liegt das Programmheft aus.

Aus organisatorischen Gründen hat das Spiel 9 Minuten Versprätung. Mittlerweile füllt sich auch der Platz mit den üblichen Zuschauern: Kindern, Jugendspielern, einigen Sonntagsspaziergängern und Radfahrern, attraktiven Spielerfrauen und Veteranen aus ruhmreichen Fußballtagen. Neben so einer kleinen Dreiergruppe geselle ich mich und harre der Dinge, die da kommen mögen. Oswald, silberhaariges Haupt dieser kleinen Gruppe, ist ein profunder Kenner der Schorndorfer Fußballseele, und gibt seine Ansichten zum Spiel ohne gelb-rote Vereinsbrille durch.

Das Warten auf den Schiedsrichter nutzt das Wetter, um entgegen aller Prognosen die Wolken zurückzuziehen und der Sonne eine Chance zu geben. Beharrlich bleibt aber der Wind, der unentwegt das Spiel begleitet. Heute könnte man einen Drachen steigen lassen meine ich und erhalte volle Zustimmung meiner Nebenleute.

Was werde ich erleben? Den Kampf der Titanen? Helden der Kreisklasse? Oder den Tod des Handlungsreisenden?
Heute in himmelblau:
Schiedsrichter Marcel Wacker
Hertmannsweiler in rot, Schorndorf in gelb.

„Bin ich der einzige, der klatscht?“ höre ich Oswald neben mir, als die Mannschaften das Spielfeld betreten, und in der Tat sind die Zuschauer mehr mit sich selber als mit dem Geschehen auf dem Grün beschäftigt.

Oswald, der Herr mit der
Mütze, hat geklatscht.
Weder Fußballkutte noch Rockerkluft,
sondern Kleintierzuchtverein.


Das Spiel enttäuscht. Der Tabellenzweite spielt alles andere als ein Aufstiegskandidat für die Bezirksliga, und die Gäste aus Hertmannsweiler haben keine Mühe, für die ersten brenzligen Situationen zu Sorgen. Hohe Bälle werden vom Wind gnadenlos ins Seitenaus getrieben, und vom anderen Remsufer dringen die Geräusche leidenschaftlicher Zuschauer herüber. Dort spielt der italienische Club A.S.G.I Schorndorf in der Bezirksliga, und im Gegensatz zur SG scheint er auf die akustische Unterstützung seiner Fans bauen zu können.

Im Land der langen Schatten.
Hertmannsweiler nutzte gekonnt den freien Raum, wirkte konzentrierter und führte völlig verdient zur Pause mit 1:0. Der Halbzeitpfiff wurde unterschiedlich genutzt: Zuschauerinnen zogen in einer langen Karawane Richtung Tennisheim, um dort die Toiletten aufsuchen können, während die Männer sich am Grillstand stärkten und der Schiedsrichter small talk hielt. Vom weiteren Halbzeitgeschehen binich erst mal abgelenkt, da gerade die Runde gemacht wird, um das Eintrittsgeld zu kassieren.


Jetzt geht es ans Eingemachte, in der Halbzeitpause
wird der Eintritt kassiert.
Das Spiel war nicht berauschend, aber alleine, um diesen beiden
schwäbischen Originale zu erleben, hat sich der Besuch gelohnt. 
Der Mann neben mir bezahlt 2 Euro, und auch ich habe schon das passende Geld in der Hand, da sagt man zu mir „noi, drei Euro. Zwoi zahlet nur die Rentner“ - ich war wirklich schon schrecklich lange nicht mehr in der Kreisliga. Schnell versuche ich mich rauszureden. 
„Sie sehen doch, das ich graues Haar habe“, erwidere ich, „ich bin doch schon 77!“
„Da hascht die aber guat g'halta. Wie hasch des denn gmacht?“
 „Na, regelmäßig an der frischen Luft Fußball geguckt!“
„Ha! Guader Mann, so isch's richtig!“


Spielszene aus der 2. Halbzeit.








Nach einer Stunde fällt der Ausgleich für Schorndorf, doch täuscht es nicht darüber hinweg, das die Platzherren fast schon fahrlässig in der Abwehr und im Zweikampfverhalten sind. Das Spiel wird ruppiger, aber nicht schöner, jedoch läßt sich der Schiedsrichtern nicht aus der Ruhe bringen. 

Vor allem von Hertmannsweiler Seite wird es bei Spielunterbrechungen laut, Schorndorfs Publikum kontert, wenn der Schiri dem Verlangen nach Sanktionen nachkommt. Nichts, was zeitgleich in unzähligen Kreisklassenpartien in Deutschland nicht auch stattfinden würde. 

Ich beschließe, ein wenig die Runde zu machen und Dinge festzuhalten, die typisch für untere Spielklassen sind. 
Kreisliga Rems-Murr,
wo Linienrichter noch
Zeit für Späße haben.

Logenplätze in der Kreisliga.




Irgendwie hatte ich den richtigen Riecher, denn ich halte mich gegen Ende der Partie am Schorndorfer Tor auf. Dort fallen dann auch noch zwei Treffer gegen die Gastgeber, die ich auch fotografisch festhalten kann.

Soeben fällt das 1:2 ...
... und kurz danach das 1:3. Schorndorf wird vorgeführt.
Auch Kreisliga:
rauchende Ersatzspieler
Schorndorf, für einen Aufstiegsaspiranten, hat dem SV Hertmannsweiler nichts mehr entgegenzustellen. Emotional wird das Spiel von der Reserve kommentiert und es fallen Worte, die man sonst nur von Spielerväter bei Bambiniturnieren hört.

Nach dem 1:3-Endstand tönt es dann von einem Hertmannsweiler Spieler Richtung SG: „Habt ihr einen Koffer und die 6 Punkte schon rein getan“ - die Reserve hatte ihr Spiel ebenfalls gewonnen - „dann nehmen wir die Punkte gleich so mit“.

Nächste Woche müssen sie gegen den Tabellenführer antreten, der ebenfalls wie die SGS strauchelte, und Hertmannsweiler könnte sich in der Meisterschaft als Favoritenschreck entpuppen. Schorndorfs Leistung hatte mich ehrlich gesagt erschreckt. Die SG Schorndorf wieder in höhere Ligen erleben zu dürfen, scheint Äonen von Jahren entfernt zu sein.



Spielbericht:
SV Hertmannsweiler: Verdienter Gästesieg

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