Traditionsreicher Ground - Das Etzwiesenstadion. |
In Erinnerung blieben mit die Zuschauer. Diese waren es damals schlicht nicht gewöhnt, dass meine Mannschaft lautstark anfeuern kann. "Höret auf mit dem Scheiß, was soll denn däs?", "Ganget doch da rüber wenn ihr so'n Krach macha müaßet!" waren noch die freundlichen Worte, die man hörte. "Na na", erwiderte ich damals, "wir sind beim Fußball, nicht beim Tennis". Nachdem der Sieg feststand, beschränkte man sich allenfalls auf hämische Kommentare wie "Was wollet ihr in der Oberliga? Do steigät ihr doch eh' glei wieder ab!" Ein ganzes Weltbild wurde in mir zerstört: bis dahin hielt ich nur das Gmünder Fußballpublikum für "a weng komisch". Wie auch immer, natürlich machte das Normannia nicht - zumindest nicht gleich - und mir gefiel das Etzwiesenstadion trotzdem.
Auch wenn im deutschen Fußball der Begriff "Traditionsverein" im Allgemeinen für Vereine angewendet wird, die vor 1914 gegründet wurden, so muß man dem im Jahre 1919 gegründeten TSG Backnang dennoch zu den württembergischen Traditionsteams hinzuzählen - ganz im Gegensatz zu einem anderen TSG-Verein aus Baden-Württemberg mit vermeintlich älterem Gründungsdatum. Vielleicht, weil der Verein auch schon vor dem Krieg in der Kreisliga auftauchte (Kreisliga, das war in der Weimarer Republik teilweise die 1. Liga, später die 2. Spielklasse im süddeutschen Ligasystem), andererseits durch seine Präsenz im Etzwiesenstadion seit 1925.
Im Gasthaus "Zum Kronprinzen" fand die Vereinsgründung statt, ein Jahr später wurde man in den Süddeutschen Fußballverband aufgenommen und startete in der C-Klasse. 1922 erfolgte bereits der Aufstieg in die B-Klasse. Ein besonderes Datum war der 20. September 1925. Da weihten die FV'ler mit einem Spiel gegen den VfB Ludwigsburg ihre heutige Heimat, den Etzwiesensportplatz ein. 1926 ging es in die dritthöchste Spielklasse, der A-Klasse.
Ein erster großer Erfolg war der Aufstieg 1930 in die Kreisliga Cannstatt, wo der FV erstmals auf die Gmünder Normannia traf. Beide Spiele gewannen übrigens die Lederstädter (3:2 in den Etzwiesen, 2:0 im Schwerzer), und der Aufsteiger schloß die Runde auf Platz 7 ab, während Normannia durch eine Ligareform in den neugebildeten Kreis Hohenstaufen wechselte (und dort auf Anhieb Meister wurde). Da konnte man auch eine 2:7-Heimniederlage gegen den Stuttgarter SC verschmerzen. Das "verflixte 2. Jahr" traf auch schon damals für Aufsteiger zu. Der FV Backnang wurde nur 9. und Vorletzter - Meister Stuttgarter SC blieb diesmal sogar mit 2:8 Sieger in den Etzwiesen. 1932/33 spielte Backnang richtig auf, belegte einen zufriedenstellenden 4. Platz, allerdings deutlich abgeschlagen zur Spitzengruppe. Trotz dieser für den Verein guten Platzierung gelang es nicht, die im Zuge der Machtergreifung 1933 erfolgten Ligareform die Zweitklassigkeit zu erhalten. Diesen Umstand korrigierten die Backnanger 1935 mit dem Aufstieg in die Bezirksklasse, den man 1938 nach einem Abstieg den erneuten Aufstieg entgegensetzte. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges kam der Spielbetrieb für den FV Backnang zum erliegen, 1945 wurden Platzanlage und Clubhaus durch Fliegerangriffe zerstört.
Nach dem Krieg erfolgte im April 1946 eine Neugründung als Sportvereinigung Backnang, einem Gesamtsportverein, in den auch der Turnerbund 1846, der Kraftsportverein 1920 und der Tennisverein 1925 mit einflossen. Die Fußballer starteten in der A-Klasse, stiegen auf Anhieb in die Bezirksklasse auf, aber auch gleich wieder ab. 1949 gelang jedoch der Wiederaufstieg, und 1950, bei Einführung der 2. Amateurliga, wurde die SpVgg gleich Gründungsmitglied der Staffel 2, zusammen mit Mannschaften wie dem altehrwürdigem VfR Heilbronn, dem TSV Crailsheim oder der TSG Öhringen. Die Mannschaft mit dem zweitbesten Sturm der Liga - in 26 Spielen erzielte man in der Premierensaison 107 Tore, alleine der TSV Crailsheim mußte auf eigenem Gelände mit 0:8 die Segel streichen - benannte sich 1951 in TSG Backnang um.
Im Schatten des Viadukts. |
In der Liga trafen Normannia und Backnang erst wieder 1965/66 - dem Normannia-Meisterjahr - aufeinander, und von Gmünder Sicht mußte man bis zur Saison 1970/71 warten, bis man in den Etzwiesen siegen konnte (damals ein 4:2). Überhaupt blieb man bei 10 Ligaauftritten im Schatten des Viadukts der B14 nur 3x Sieger und spielte wenigstens einmal Unentschieden. Umgekehrt hielt man sich Zuhause oft schadlos an der TSG: 7 Siege, 1 Unentscheiden und nur 2 Niederlagen.
"Zum Sachsen" |
Ein besonderes Ereignis der jüngeren Vergangenheit war der WFV-Pokalsieg 1991 über den favorisierten Oberligisten SSV Reutlingen, der in Reutlingens Kreuzeiche 2:1 besiegt wurde. Noch zwei Tage vorher unterlagen die Backnanger in der Verbandsliga Zuhause 0:1 gegen das abgeschlagen Schlußlicht SV Oberzell.
Pech hatte man mit der Auslosung zum DFB-Pokal. Gab es in der 1. Hauptrunde noch ein Freilos, empfing man in der 2. Hauptrunde den nicht gerade für das Anlocken großer Fanmassen bekannte Suhler SV. Vor lediglich 650 Zuschauer flogen die Backnanger mit 1:3 aus allen Pokalträumen.
Die Normannen kommen! |
Bei Einführung der Amateur-Oberliga Baden-Württemberg und Reform der darunterliegenden Spielklassen war Backnang Gründungsmitglied der Landesliga, Staffel 1, aus der sie jetzt mittlerweile zum viertenmal in die Verbandsliga aufstiegen. Wie bei manch' altem Traditionsverein fängt das Umfeld dann nach so einem Aufstieg gerne an, den Erfolg der Gegenwart mit den Schatten der Vergangenheit zu messen. Nicht wenige würden sich wohl gar einen Durchmarsch in die Oberliga wünschen, doch im Verein will man von solchen Phantastereien nichts wissen, sondern bleibt wohlweislich mit beiden Beinen auf den Boden.
Jeweils ein wichtiges Glied in ihrem Verein: Marc Erdmann (TSG) und Bernhard Dangelmaier (Normannia) |
Ebenso wie vor 10 Jahren waren auch heute - sollten mich meine ergrauten Gehirnzellen nicht hinters Licht führen - Claus-Jörg Krischke und Claus "Bredi" Breitenberger im Stadion, wobei Letztgenannter im Gegensatz zu 2004 etwas glatter um Kinn und Stirn war.
Mit Gaetano Molinari und Nico Schoch befand sich eine kleine Abordnung der Fangruppe "12. Mann" vor Ort, zu denen ich mich - unterstützt von meinem Sohn - dann auch gesellte. Sehr zur Überraschung von Gaetano flaggte ich diesmal gleich doppelt - aber nicht in Schwarz-Rot, sondern den Flaggen von Wales. "Waaaales, Waaaaaaales, Cymruuuuuu!" wurde dann auch ein Schlachtruf meinerseits, die Schicksalsgöttinnen das Geschick der unermüdlichen Normannen einfach nicht zu besseren Gestaden lenken wollten.
Men of Harlech. |
Man kann über das Etzwiesenstadion sagen was man will: man ist wahrlich mittendrin, steht förmlich am Spielfeldrand, könnte dem Linienrichter glatt das Bein stellen, ohne seinen Fuß allzuweit rauszustrecken. Backnang ist, wenn dir der Linienrichter ständig vor der Kameralinse rumhüpft und die ins Bild springt. Ein wenig tat er mir dafür auch leid, so nah am Normannia-Lärmpegel stehen zu müssen, und immer, wenn er vor mir auftauchte, lenkte ich die Tröte stets gen Himmel, weg von seinen Ohren.
Zuschauer. Auf der Tribüne saßen noch weitere 4 1/2 Fußballfreunde. |
Magnus Burkhardt war schon überwunden. Jochen Baß erweist sich als guter Freund in der Not |
Marius Nuding im Zweikampf mit Marcel Zimmermann. |
Hilft aber alles nichts. Stephen Fichtner läuft an, lockt Magnus Burkhardt in die falsche Ecke, und Backnang führt 1:0, und trotz Strafstoß nicht mal unverdient.
Bis zum Seitenwechsel war "Ruhe die oberste Bürgerpflicht" der Normannen, um den Rückstand nicht noch höher ausfallen zu lassen, während Gaetano Molinari und ich unsere Sangeskünste mit "Who let the dogs out?" in Versuchung führten. Für alle Zweifler: Gaetano kann in vier verschiedenen Stimmlagen bellen! Der Mann hat Galgenhumor bewiesen!
Die zweite Halbzeit brachte eine andere Normannia ins Spiel, taktisch umgestellt und Angriffslustig. Und doch, es waren wieder die Backnanger, die ein Tor bejubeln durften. Andreas Grimmer, in der ersten Hälfte im Gmünder Strafraum gelegt, legte nun den Ball ins Gmünder Tor, und nach 60 Minuten hieß es 2:0 für Backnang.
Machen wir es kurz. Backnang gewann verdient 2:0 und baute seine Heimbilanz gegen Normannia auf. Die Statistik lügt halt doch nicht. Nach wie vor bleibt die Normannia-Statistik gegen die TSG eine verrückte Sache, relativ ausgegelichen und wohl immer abhängig von der Spielstätte.
Trotz der gerechten Niederlage gab es etwas, was mir sehr gefiel. Die Moral der Normannia. Trotz Unterzahl gab es kein lamentieren, kein zurückstecken, und noch Minuten vor Schluß wurde der Weg nach Vorne gesucht, Backnang attackiert. Die Mannschaft zeigte Größe.
Lediglich das Happy End blieb aus, kein weiterer dieser seltenen Punktgewinne in Backnang wurde der Normannia-Statistik hinzugefügt.
Auf dem Weg zum Ausgang begleitete uns ein Backnanger. "Ha no, mi wurmt däs ja au a bissle mit Normannia. Eigentlich komm i ja aus 'em Rehnenhof und wohn' halt in Backnang".
Etwas niedergeschlagen fuhren wir nach Hause. Hoffnung liegt im nächsten Heimspiel gegen den FC Wangen 05, wenn wir wieder lautstarke Unterstützung aus dem hohen Norden erhalten werden.
Irgendwie war es ja dann doch schön in Backnang. Klar, die Niederlage tut weh, und etwas mehr Zuschauer hätte ich dem Aufsteiger ja auch gegönnt. Einen dicken Minuspunkt gibt es aber noch für die TSG. Man hat Helene Fischer gespielt! Zweimal! ZWEIMAL IN EINEM FUSSBALLSTADION "ATEMLOS DURCH DIE NACHT!" Vielleicht besteht ja ein Zusammenhang mit den Zuschauerzahlen im Etzwiesenstadion? Denkt mal drüber nach!
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