Das Waldstadion, wie man es sich wünscht: mit einer ordentlichen Zuschauerkulisse. |
In 66 Jahren hat sich viel, aber auch nicht zu viel geändert. Statt explosionsgeladen ist die Atmosphäre eher emotionsgeladen, Männer blicken auch nicht mehr fanatisch-wild um sich, und die besagten Dorfschönheiten sind zwar immer noch attraktiv, quietschen aber nicht mehr erregt auf, zumindest nicht beim Fußball.
Die Rede ist vom Relegationsspiel zwischen dem SV Pfahlbronn und dem TSV Böbingen, das über Wohl und Wehe, über Verbleib oder Abstieg, über Aufstiegjubel oder Resignation entscheiden soll.
Als Spielort wurde das Waldstadion im Laichle des TSB Gmünd bestimmt, was mir umso gelegener kommt. Endlich einmal kann ich die TSB-Kampfstätte mit einer würdigen Zuschauerkulisse erleben.
Beide Mannschaften legten eine unterschiedliche Wegstrecke zum 14. Juni zurück. Der SV Pfahlbronn wurde in seiner, der oftmals als "Gmünder Staffel" bezeichneten Kreisliga B, Staffel I, beeindruckender Zweiter mit 62 Punkten. In der vergangenen Saison erlaubten sich die Pfahlbronner sogar nur 2 Niederlagen, was für ihre Stärke spricht. Bezeichnenderweise waren sie sogar Punktgleich mit Meister und Direktaufsteiger TSGV Waldstetten II, der allerdings eine bessere Tordifferenz aufwies. Daher mußte Pfahlbronn zunächst einmal gegen den TSV Bartholomä, dem Zweiten der Staffel BII antreten, der dann auch im vom Laichle gesehen benachbarten Mutlangen mit 1:0 besiegt wurde.
Die Böbinger hingegen fuhren als Tabellenvierzehnter der Kreisliga A nach Schwäbisch Gmünd mit dem Bewußtsein, dass sie in der vergangenen Saison auf diesem Platz wenigstens nicht verloren haben (2:2 gegen den heimischen TSB).
Eigentlich sollte ich es ja mit den Böbingern halten, schließlich wuchs ich in der Gemeinde auf. Mein erstes Fußballspiel vor Ort war dann auch ein Freundschaftsspiel des TSV gegen die DJK Gmünd, damals noch auf dem alten Platz des TSV neben der Bundesstraße 29. Ich ging zum Spiel auch nur deshalb, weil man Bruder im Tor stand, was eine sehr kuriose Geschiche war, denn eigentlich war er Feldspieler. Irgendwann kam er mehr als Notlösung zwischen die Pfosten, und dieser Behelfstorwart machte seine Sache so gut, dass man ihn immer die Torwarthandschuhe in die Hand drückte. Auch heute noch ist er mit dem Verein verbunden und Jugendtrainer der Grün-Weißen. Ferner verbindet mich mit dem TSV auch die Tatsache, dass ich, da ich ja vor Ort lebte, dort mein erstes "Auswärtsspiel" der Normannia sah, 1995/96 in der Bezirksliga. Das Spiel endete 0:0, ich erlebte den mitfiebernden (2009 leider verstorbenen) Gerhard Schurr aus nächster Nähe. Er stellte mir sogar eine Frage zu einem TSV-Spieler, die ich ihm leider nicht beantworten konnte. Kam ich doch schließlich zum Sportplatz am Römerkastell, um den FCN zu sehen...
Andererseits konnte ich das Spiel in totaler Neutralität genießen, denn ganz unsympathisch ist mir der SV Pfahlbronn auch nicht. In gewisser Weise schrieb der Ort sogar Landesgeschichte in der jüngeren Vergangenheit. Ursprünglich eine selbständige Gemeinde innerhalb des Landkreises Schwäbisch Gmünd, wurde er im Zuge der großen Verwaltungsreform zum Stichtag 1. Januar 1972 mit Alfdorf vereinigt. Im Landtag kam es anschließend zur Abstimmung, ob die neugebildete Gemeinde Alfdorf mit Pfahlbronn und Vordersteinenberg bei Schwäbisch Gmünd bzw. dem neugegründeten Ostalbkreis verbleiben, oder zum Lankreis Rems-Murr wechseln solle. Möglicherweise lag es an der Müdigkeit der Volksvertreter (Alfdorf war der vorletzte Abstimmungspunkt im Gremium), aber durch einen nachgewiesen Zählfehler wurden Alfdorf und mit ihm Pfahlbronn aus- und dem Rems-Murr-Kreis eingegliedert. Und obwohl schnell bekannt wurde, dass das Stimmenverhältnis andersherum - also "Pro Gmünd" - lautete, wich der Landtag von seiner veröffentlichten Entscheidung nicht mehr ab. Daher rührt auch die Tatsache, dass der FC Alfdorf, der SV Hintersteinenberg und der SV Pfahlbronn nach wie vor im "Gmünder" Bezirk Kocher/Rems spielen, politisch aber dem Rems-Murr-Kreis angehören. Alle Schaltjahre aber - vornehmlich im Sommerloch - taucht mal ein Landrat oder sonstiger Kommunalpolitiker auf, der die Ansicht vertritt, die genannten drei Vereine sollten auch im Fußballbezirk Rems/Murr antreten. Aber das ist eine andere Geschichte.
In meiner sportlichen Erinnerung an beide Vereine lebt bei mir die Saison 1987/88 auf. Beide Mannschaften spielten in der Kreisliga B, mehr oder weniger passabel. Die Böbinger waren jedoch in der aus ihrer Sicht unbeliebten Staffel II eingeteilt, ein Mittelding zwischen Gmünd und Aalen, und statt zu aufregenden Derbys gegen TSB II, FCN II, DJK Gmünd, Lindach, Rechberg oder FC Waldstetten fuhr man zu Safakspor Aalen, Wasseralfingen, Hohenstadt oder Dewangen. Zudem waren die Verantwortlichen des TSV der Ansicht, die Staffel I sei sportlich leichter zu bewältigen, schließlich wollte man ja in die Kreisliga A. Die Böbinger wollten stets einen Wechsel in die Staffel I, doch dieser Bitte wurde nie entsprochen. In dieser Situation griffen die Böbinger zu einen Trick: sie meldeten ihre Reservemannschaft in den regulären Spielbetrieb an, und da die 1. Mannschaft fest in die BI eingeteilt war, musste der TSV II in der Staffel I starten. Doch damit nicht genug mit der "Böbinger Bauernschläue": da der TSV ja über die BI in die Kreisliga A aufsteigen wollte, wurden sämtliche Spieler der beiden Mannschaften ausgetauscht. Und so kam es, dass der TSV I - also die eigentliche Reserve - am Ende der Saison 1987/88 mit gerade mal 11 Punkten Drittletzter wurde, während TSV II in der Staffel I lange Zeit um den Aufstieg spielte - zusammen mit dem TSB Gmünd II (der dann auch Aufstieg), Normannia Gmünd II und eben dem SV Pfahlbronn. Am Ende ging den Böbingern dann doch die Luft aus, sie wurden Vierter, allerdings mit 109 Toren. Pfahlbronn, das sich zwei spannende Spiele mit dem TSV lieferte, scheiterte knapp vor der Zielgeraden, hatte aber den zweitbesten Sturm der Liga. Es gab sogar am letzten Spieltag ein richtiges Endspiel in Pfahlbronn gegen den TSB II, aber da war die Meisterschaft schon gelaufen.
Doch diese Zeiten sind lange vorbei, als ich aus dem übervollen Bus aussteige und die paar Meter zum Laichle zu Fuß zurücklege. Claus "Bredi" Breitenberger, mittlerweile ja schon zur Genüge vorgestellt, befand sich im selben Bus, und so können wir gemeinsam den Gang antreten. Der TSB als Gastgeber der Relegation ließ heuer auch mal die Tore vom Wald her öffnen, rechnet man doch mit einem starken Zuschauerandrang. Dies wäre für den Verein natürlich wünschenswert, erhält er doch schließlich 10% der Eintrittsgelder und natürlich die Einkünfte aus dem Verkauf der Getränke und Nahrungsmittel. Egoistisch wie ich bin, möchte ich natürlich in erster Linie ein gut besuchtes Waldstadion sehen, wie es der TSB Gmünd bei seinen Heimspielen eigentlich verdient hat (und wie es früher auch so war). Bredi mag es nach wie vor nicht glauben, dass das heutige Spiel tatsächlich erst mein zweiter Besuch im Laichle sein soll. Ja, in gewisser Weise schüttle ich den Kopf über mich selber: was ist mir da alles entgangen...
Im Laichle herrscht noch die Ruhe vor dem Sturm, und die Helfer sind noch mit dem Aufbau des Verkaufszelts zu Gange.
Während man das Tor im Wald geöffnet hat und dort eine provisorische Kasse errichtet hat, bleibt das frühere Haupttor mit seinem kultigen, mittlerweile zum Kunstobjekt degradierten Kassenhaus geschlossen.
Auch Bredi genießt durch das Relegationsspiel einen immensen Vorteil: er kann im TSB-Trainingsanzug des Platzherren auflaufen, und nach dem Spiel, im Gewühl der Spieler, wirkt er regelrecht wie ein Trainer. Allerdings hat die gelbe Farbe des Trainingsanzug auch eine Signalwirkung für sämtliche nektarsuchende Insekten, und innerhalb kürzester Zeit ist Bredi als Käferflüsterer unterwegs.
Die Ruhe vor dem Spiel nutzt er hingegen, um mir ein paar sportliche Lokalgrößen vorzustellen. Da ist natürlich zunächst mal Erhard "Ede" Kühnhold, der Chefcoach der Böbinger, der nicht nur von Bredi die Bezeichnung "Kulttrainer" erhält.
Der gebürtige Weimarer - der in seiner aktiven Zeit auch für Rot-Weiß Erfurt zu Einsätzen in der DDR-Oberliga kam - hat seit Oktober 2013 das Traineramt in der Remsgemeinde inne und strahlt bereits vor dem Anpfiff Zuversicht aus.
Unter den Zuschauern, die sich mittlerweile einfinden, drückt auch Christian Frey seinem Ex-Team die Daumen. Noch durch einen Kreuzbandriss lädiert scheute der 22-jährige Stürmer des Landesligisten Germania Bargau nicht den Weg ins Laichle, um seinen ehemaligen Teamkollegen des TSV Böbingen im Abstiegskampf beizustehen.
Im Gegensatz zu Kreisliga-Begegnungen werden bei Relegationsspielen schon etwas anspruchsvollere Anforderungen an die Beteiligten gestellt. Neben einem kompletten Schiedsrichtergespann sind dies z. B. regelkonforme WFV-Ordner, die vom Platzverein gestellt werden. Thorsten Klopfer vom TSB zeigt dann auch gleich, das mit ihm nicht zu spaßen ist, und selbst ein Bredi keine Narrenfreiheit genießt.
Die erwähnte "jodelnde Kinderschar" ist dann auch noch anwesend, wobei von jodeln nicht die Rede sein kann. Ein kleiner wackerer Haufen aus Pfahlbronn hält die schwarz-weißen Farben des Sportvereins im Laichle hoch, und feuert ihre Mannschaft an.
In Punkto Fanartikel ist Pfahlbronn eindeutig in Führung, akkustisch können sie allerdings nicht mit den lautstarken Böbingern mithalten, die unter den knapp 600 Zuschauern offenbar die Mehrheit bilden.
Den Ruf der "besten Roten" haben die Grillmeister des TSB auch heuer wieder erfolgreich verteidigt! |
Die Kinder von Mutter Courage. |
Auf dem Spielfeld legt der klassenhöhere TSV vor, will sich vom Aufstiegsherausforderer nicht ins Bockshorn jagen. Die Überlegenheit ist zwar alles andere als drückend, aber der Klassenunterschied ist anzusehen, und der TSV bringt die Pfahlbronner von Beginn an in Bedrängnis. So kommt es nicht sehr überraschend, als in der 23. Minute Manuel Schneider Böbingen mit 1:0 in Führung schießt. Ein orkanartiger Böbinger Torjubel braust über den Rehnenhof.
Der Fotograf mal selber als Motiv. |
Zur Erklärung: meine Datenbank der lokalen Laufergebnisse vergisst nie, und ich nahm ebenfalls an besagtem Lauf teil.
Böbingen baut in Zwischenzeit Druck auf, um den B-Ligisten endgültig zur Verzweiflung zu treiben, und Pfahlbronn findet sich zunehmend häufiger in der Defensive.
Vor dem Pfahlbronner Tor. |
Spielszene von der Gegengerade aus. |
In der Nachspielzeit der 1. Halbzeit ist es um Pfahlbronn geschehen: Uwe Beer kennt keine Gnade, und versenkt den Ball zum Treffer Nummer 2 für den A-Ligisten. Sollte nicht doch noch ein "Wunder vom Laichle" eintreten, dürften Pfahlbronns Aufstiegsträume ausgeträumt sein. Zur Halbzeit jedenfalls ließen die mitgereisten Pfahlbronn-Anhänger Köpfe und Fahnen hängen, während die Böbinger zunehmend schon in Feierlaune gerieten.
Celtic Glasgow aus dem Schwabenland. |
In gewisser Weise erinnert mich übrigens das Trikot der Böbinger an den Schottischen Spitzenclub Celtic Glasgow, aber das nur am Rande.
Aus anderer Perspektive. |
Betende Pfahlbronner... |
...und mitfiebernde Böbinger Fans. |
Und dann erfolgt der Schlußpfiff. Die Böbinger Spieler reissen die Arme in die Höhe, die Zuschauer, so sie denn aus Böbingen stammen, fallen in den Jubel ein. Der höherklassige Favorit bewies seine Klasse, bleibt der Kreisliga A erhalten, während die Pfahlbronner im nächsten Jahr einen erneuten Anlauf unternehmen müssen.
Der Rest ist dann nur noch Orgie - im positiven Sinne.
Dankeschön an die Fans. |
Auch Joschi Apprich sieht zufrieden aus. |
Ede Kühnhold, der glücklichste "begossene Pudel" der Liga. |
"Coach" Bredi mit Patrick Aichele. |
Als neutraler Zuschauer müßte ich eigentlich enttäuscht sein. Kein Außenseitersieg, kein "Wunder in der 89. Minute", keine spannende Verlängerung oder nervenaufreibendes Elfmeterschießen in diesem "Nachsitzspiel" des A-Ligisten gegen den Herausforderer der B-Liga. Kein besonders aufregender Tag, wäre nicht der Fußballhistoriker in mir auf seine Kosten gekommen. Bredi stellte mir nämlich Willi Kaeske vor. Der 83-jährige ist ein Veteran eines der Vorgängervereine des TSB Gmünd, den Sportfreunden Gmünd, denen er 1955 beitrat. Wie es der Zufall so will, recherchiere ich gerade über das Gmünder Fußballleben des Jahres 1955, und so konnte er mici mit Dinge versorgen, die kein staubiges Sitzungsprotokoll und keine vergilbte Zeitungsseite überliefert. Besonders haften blieb mir, dass die damalige Normannia und deren Anhänger etwas versnobt von den "Barackenstinkern" sprachen, wenn sie die Sportfreunde meinten. Denn am Schießtal, wo später die Heimat der Schwarz-Roten war, befand sich auch ein Barackenlager. Aber das ist eine andere Geschichte, die mal bei Gelegenheit erzählt werden muß.
Jubel beim TSV. Nächstes Jahr hoffentlich ohne nachsitzen. |
Spielbericht:
Rems-Zeitung: Fußball, Relegation: Trainer Ede Kühnhold feiert 2:0-Sieg gegen den SV Pfahlbronn – Schneider und Beer erzielen die Tore
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