Dienstag, 30. Juli 2024

Das Schwarze sind die Buchstaben: Fußball im Bezirk Böblingen/Calw 1965 bis 2024


Teilnehmer der Premierensaison 1965/66

Die Strukturreform innerhalb des Württembergischen Fußballverbandes (WFV) sorgte dafür, dass die ursprünglich 16 Bezirke auf 12 reduziert wurden. Einer davon war der erst 1965 ins Leben gerufene Bezirk Böblingen/Calw, der nun in den Bezirk Nordschwarzwald und Stuttgart/Böblingen aufgeteilt wurde.

Philatelisten, diese nerdige Spezies Mensch, die sich der Jagd nach Postwertzeichen verschrieben hat, lieben es: ein vollständig abgeschlossenes Sammelgebiet. Ähnlich dürfte es auch Fußballfreaks gehen, die sich mit Historie oder Statistiken oder bestenfalls gar beidem beschäftigen. Aus dem Hause des für seine Fußballzahlenwerke bekannten Deutschen Sportclubs für Fußballstatistiken (DSFS) ist nun so ein Gesamtwerk für den ehemaligen Fußballbezirk Böblingen/Calw erschienen.

Auf 202 Seiten werden die 59 Spielzeiten des Bezirks recht ausführlich dargestellt. D.h., die A-Klasse bzw. ab 1978 Bezirksliga werden mit Tabellen und Ergebniskästen durchleuchtet und die Bezirkspokalendspiele aufgelistet. Ab der Saison 1995 findet der geneigte Enthusiast auch die Ergebnisse der Kreisliga A. Ansonsten natürlich alle Tabellen bis in die unterste Spielklasse sowie die obligatorischen "Ewigen Tabellen" (die für den Bezirk Böblingen/Calw den Namen "ewig" zurecht tragen dürfen).

Die dem Schwaben angeborene Sparsamkeit wird nun spitzbübisch darauf hinweisen, dass diese Tabellen doch völlig gratis im Internet zu finden seien. Seitdem der Württembergische Fußballverband dankenswerterweise seine historischen Tabellen auf der Homepage zum Download anbietet, haben Häberle und Pfleiderer gewiss nicht unrecht. Aber diese alten Veröffentlichungen, so wichtig sie sind und so sehr sie ein historisches Zeitdokument darstellen, leben mit dem Makel, fehlerbehaftet oder lückenhaft zu sein. Sie zeigen schön die Entwicklung der Fußballveröffentlichungen auf. Als 1965 der Bezirk seine Pflichtspielrunde aufnahm, wurden Tabellen noch händisch ermittelt, Rechen- oder Schreibfehler oder simple Zahlendreher von Spieltag zu Spieltag fortgeführt. Beim Abtippen mit der Schreibmaschine reichte ein dicker Finger, ein unbemerkt gebliebener falscher Anschlag, und das ganze Ding ging rechnerisch nicht mehr auf. Und zu guter Letzt war auch ein Schriftsetzer in der Druckerei bei all' seiner Berufserfahrung nicht unfehlbar. Sprich: sind auch moderne Zeiten mit Computern und Tabellenprogrammen nicht vor Fehlern gefeit, so treten sie doch relativ seltener auf als zu Zeiten der Altvorderen, wo Ergebnisse und Tabellen durch unzählige Hände gingen.

Jürgen Renner vom DSFS ist es nun zu verdanken, dass er sich nicht nur auf bereits veröffentlichte Publikationen verlassen hat und diese bequem 1:1 übertragen hat. Er ging den Weg in die Archive, trug aus vergilbten und verstaubten Tageszeitungen mühsam die Ergebnisse zusammen und kann sie nach einem Jahr der Pein und Mühsal endlich der Öffentlichkeit präsentieren. "Waffnend gegen eine See von Plagen", eingepfercht und unrasiert in einem Kellerverlies bei spartanischer Nahrung und getrennt von Familie und Freunden galt seine ganze Schaffenskraft und Konzentration der gewissenhaften Zusammenstellung des Zahlenwerkes, wohlwissend, dass ein aufgespürter Fehler ihn in einen Zahlenwahnsinn treiben könnte, war sein Blick stets auf das Endergebnis gerichtet. Okay, ich dramatisiere ein klein wenig. Aber bildlich gesprochen dürfte diese kleine Allegorie nicht ganz abwegig sein.


WFV-Veröffentlichung 1965/65. Klassisch in der Schriftsetzerei


Modern, bequem und tagesaktuell: Präsentation auf fussball.de

Herausgekommen ist ein Standardwerk einer ganzen Region, die ich mit Genuss und Freude empfehlen kann, selbst wenn man sich nun nicht mit dem "Wilden Westen" des Verbandsgebietes vordringlich beschäftigt. Einerseits ist es ein wertvolles Zeitdokument, dass im nüchternen Zahlenspiel (das zum Fußball eben genauso dazu gehört wie der Schiedsrichter und die Stadionwurst) die Entwicklung im württembergischen Fußball darstellt. Auf der anderen Seite wünscht man sich solche Bände zu anderen Fußballbezirken. Kritiker werden einwenden, dass es sich hierbei um keine umfassende Geschichtsschreibung handelt und man wenig über Vereine und Protagonisten des Ballsports erfährt. Das mag richtig sein, ist aber auch nicht der Zweck von Buch und DSFS. Vielmehr gelangt man in den Besitz einer validen Grundlage, besonders wenn man an eigenen Werken der erzählenden Geschichtsschreibung arbeitet. Und nicht zuletzt kann jetzt mal verlässlich nachgeprüft werden, ob der Bruddler hinter der Bande, der in den 1970er Jahren die Kickstiefel für den eigenen Verein schnürte, tatsächlich mal einen zweistelligen Sieg gegen den Lokalrivalen erlebt hat. Und nicht vergessen: es ist auch ein Stück Heimatgeschichte.

Die letzte Spielzeit 2023/24

Bei all' meiner Lobhudelei muss ich mir natürlich auch etwas zum kritisieren suchen. Eine Vereinsvorstellung mit der Übersicht der Tabellenentwicklung und ein paar Eckdaten der Clubs wäre ganz prima gewesen, und als Ortsfremder bastelte ich mir die Landkarten selber. Jedoch sind diese Kritikpunkte verschmerzbar.

Beim historischen Logo des SGV Dätzingen musste ich mich mit dem ehemaligen Ortswappen aushelfen, aber ich hoffe, ich konnte auch mit meinen beiden Karten hier auf der Seite ein wenig den Zeitgeist von 1965 und die schnöde Gegenwart von 2024 einfangen.

Das Buch ist im Shop des DSFS für nur EUR 19,80 (zzgl. Versand) erhältlich, und behufs der Tatsache, dass ein schlecht eingeschenktes Bier im Wasen heuer wohl EUR 14,50 kosten und noch am gleichen Tag in einer unappetitlichen Dixie-Toilette ausgeschieden wird, ist dieses statistische Kleinod doch wahrlich ein bleibender Gewinn.

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"Fußball im Bezirk Böblingen/Calw 1965 bis 2024" von Jürgen Renner, erschienen und erhältlich beim Deutschen Sportclub für Fußballstatistiken.

202 Seiten, EUR 19,80

Direktlink zum Buch: DSFS-Shop




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