Sonntag, 17. April 2016

Im Tübinger Fußballrausch: SV 03 Tübingen gegen TSV Wittlingen


Gebanntes Publikum im SV-03-Stadion an der Europastraße.

Fährt der Spätzleskicker nach Tübingen, so gilt die Reise für gewöhnlich seiner "Fernbeziehung", dem TV Derendingen aus der Südstadt. Jüngst jedoch trieb es mich in die Universitätsstadt, um einen altehrwürdigen Traditionsverein zu besuchen: den SV 03 Tübingen, ältester Fußballverein im WFV-Bezirk Alb. Wer es nicht glaubt: beim SSV Reutlingen 05 tritt man erst seit 1905, der TuS (ehemals SV) Metzingen erst seit 1908 und dem VfL Pfullingen und FV Bad Urach (durch den Vorgängerverein FC Bad Urach) erst seit 1910 gegen das runde Leder. Berücksichtigt man dabei die Tatsache, dass es der SV 03 nie leicht hatte, seinen Sport in Tübingen auszuüben, so ist diese 113jährige Fußballtradition mehr als beachtenswert. Gegner an jenem Sonntag war der TSV Wittlingen, ein 1914 gegründeter Verein, der jedoch meinen Aufzeichnungen zufolge erst seit 1936 dem Fußballsport frönt - übrigens die letzte gegründete Fußballabteilung im Bezirk vor 1945. Wenn man so will, kann man vom Duell des ältesten gegen den jüngsten Traditionsverein sprechen (wobei ich den Begriff "Traditionsverein" eigentlich enger setze und die Gründung in meinen Augen bis in den frühen 1920er Jahren erfolgt sein sollte).


Zwar stand der ehrwürdige SV 03 Tübingen (wie so viele andere interessante Clubs) schon immer auf meiner Besuchsliste für den Spätzleskick, den entscheidenen Impuls für diesen Termin verdanke ich Michael Urban, ehemaliger Spieler beim SSV Reutlingen 05 und 1. FC Heidenheim und seit Januar 2015 wieder im gelben Dress des SV 03 auflaufend. Dieser wurde nämlich auf mein Interesse an württembergischen Traditionsvereinen sowie meiner Sammelleidenschaft bezüglich Vereinsnadeln aufmerksam, und nahm es auf sich, mir zu Weihnachten im Namen des Vereins eine Nadel als Geschenk zukommen zu lassen. Ich nutzte also das herrliche Sonntagswetter, um mich hierfür endlich persönlich bedanken zu können. Gutgelaunt ging die Fahrt nach Tübingen, zumal ja Normannia am Vortag einen wichtigen 3:1-Sieg gegen den befreundeten Club des FC 07 Albstadt herausschoß - vielleicht konnte ich der Heimmannschaft auch in Tübingen Glück bringen?


Aber zunächst erfolgt natürlich wieder der lange Blick zurück in die Geschichte der Heimelf, für die der Club in Person von Peter Baur mir die großartige Chronik zur Hundertjahrfeier zur Verfügung stellte. Ich besitze zwar durchaus nicht wenige Aufzeichnungen zum SV 03, doch das bezieht sich überwiegend auf Ergebnisse und Spielberichte. Auch hier nochmal ganz herzlichen Dank für den tollen Service.

Die Impulse zur Gründung eines Fußballvereins in Tübingen kamen aus --- Reutlingen! Eine Abordnung des Fußballclubs Württemberg Reutlingen war bestrebt, in der Universitätsstadt eine Vereinsfiliale zu gründen, und berief zu diesem Zweck für Dienstag, den 18. August 1903 eine Gründungsversammlung ins Nebenzimmer des Restaurant "Zum Bahnhof" ein. Tübingen und Reutlingen, so berichtet die Chronik, sollten eine Einheit bilden, um ein fußballerisches Gegengewicht zu Stuttgart oder Heilbronn zu bilden. Also quasi eine Fusion vor einer Gründung, wenn man so will.

Umgewidmetes, ehemaliges Kassenhaus

Doch aus der Reutlingen-Filiale wurde nichts. Am besagten 18. August 1903 gründete sich selbstbewußt und allen Unkenrufen zum Trotz ein eigenständiger 1. Tübinger Fußball-Club 03, der zwar zunächst nur 20 Mitglieder hatte, aber bereits am 30. August 1903 in Tübingen zum ersten Spiel auflaufen konnte. Bereits 1905, im Freundschaftsspiel gegen den Privat-Turnverein Ulm (einer der zahlreichen Vorväter des heutigen SSV Ulm 1846 Fußball) konnten die Tübinger mit Tornetzen glänzen - damals durchaus noch eine Seltenheit.

Es folgten innert kurzer Zeit weitere Vereinsgründungen. 1904 zunächst der von Gymnasiasten gegründete Roter Stern, der sich später in Akademischer Sportclub umbenannte, und 1905 die Fußball-Gesellschaft Tübingen, die ganz in Schwarz mit einer gelben Schärpe antrat und für ihr Aussehen den Spitznamen "Feuersalamander" erhielt.

Tübingen hatte allerdings ein großes Problem: es war keine Fußballstadt. Es fehlte, wie z. B. in Reutlingen, eine Arbeiterschaft, noch gab es andere nennenswerte Gesellschaftsschichten, die sich intensiv mit dem "englischen Fußlümmelsport" zu beschäftigten gedachten. Mehr noch, die Fußballer wurden von der mächtigen Turnerschaft regelrecht angefeindet, auf der Straße bespuckt oder schlimmeres. Ein anderes ständiges Problem war der akute Sportplatzmangel, der dem Sport nicht dienlich war. Mal kündigte das Militär die Spielerlaubnis auf dessen Exerzierplätzen oder man kickte auf Plätzen, durch die ein Feldweg führte, der auch während eines Punktespiels durch landwirtschaftliche Pferdefuhrwerke genutzt wurde.

Das unter solchen Umständen drei fußballspielende Vereine eher kontraproduktiv waren, war wenigstens einigen Betroffenen klar, und nach vielen Mühen und langwierigen Gesprächen vereinigten sich am 24. September 1912 die Fußball-Gesellschaft und der Akademische Sportclub zur spielstarken SpVgg 05 Tübingen. So reduzierte sich die Zahl der Tübinger Vereine von drei auf zwei, was für eine Stadt in dieser Größenordnung sicherlich vorteilhafter war.

TFC 03 und SpVgg 05 stiegen beide 1913 in die A-Klasse auf, der Erste Weltkrieg sorgte aber auch hier für eine jeweilige Einstellung des Spielbetriebs, wiewohl eine notdürftige Vereinsarbeit aufrechterhalten werden konnte und beide Vereine mit einer Kriegsspielgemeinschaft noch gegen das Leder getreten werden konnte. Nach dem Krieg kamen erneute Fusionsgedanken an den Neckar, um den Fußball weiter zu konzentrieren. Zunächst führte 1919 der 1. TFC 03 Gespräche mit der Turngemeinde, was aber letztendlich am Widerspruch zwischen Turnen und Ballsport scheiterte.

Im Spielbetrieb hatte die TFC 03 das Glück, in der obersten Spielklasse, der Kreisliga Württemberg gegen die Kickers, VfB Stuttgart, Stuttgarter SC oder VfR Heilbronn anzutreten, konnte allerdings die Klasse nicht halten und stieg als Vorletzter in die A-Klasse ab.

Premiere der SpVgg 03 Tübingen
Der nächste Fusions-Schub kam 1921 aus Richtung der SpVgg Tübingen. Dort schloß man erfolgreich die damals zweitklassige A-Klasse abgeschlossen und stand plötzlich und eher unerwartet in den Aufstiegsspielen zur Kreisliga Württemberg, wo Mannschaften wie der VfB Stuttgart oder die Stuttgarter Kickers eigentlich eine Hausnummer zu groß für die Tübinger waren. Daher ging man im August 1921 auf den 1. TFC 03 zu, mit dem man sich noch in der A-Klasse die Klingen gekreuzt hatte. Am 23. August 1921 kam es zur Fusion der beiden Lokalkonkurrenten, die fortan als SpVgg 03 Tübingen (nach anderen Angaben SpVgg Tübingen 03) auflief. Bereits am 28. August 1921 kam es zur Feuertaufe, und im letzten Aufstiegsspiel wurde von der neuformierten SpVgg 03 der Turnverein Ulm mit 3:2 an die Donau zurückgeschickt. Tübingen war ganz oben.

Vier Siege, zwei Unentschieden und acht Niederlagen und der sofortige Wiederabstieg waren das Resultat der Erstligasaison. Gegen die Kickers gab es ein 0:5 und ein 1:7, ansonsten blieben die Ergebnisse trotz Abstieg moderat.

Zurück zur SpVgg 03. Der TFC brachte Vermögen, Spielfeld und Vereinsgaststätte in die Ehe ein, die SpVgg lediglich ihre Satzung - ein Umstand, der sich für die TFC 03 als Verhängnisvoll erweisen sollte, denn eine Liebesheirat war die Fusion nicht. Nach dem Abstieg brachen alte Gegensätze wieder auf, wurde "schmutzige Wäsche" in der Lokalpresse gewaschen, fühlten sich die Mitglieder der alten TFC 03 über den Tisch gezogen. 1923 spalteten sich die alten TFCler ab, konnten aber formaljuristisch nicht mehr als 1. Tübinger FC 03 anmelden, da keine ordentliche Fusionslösung sondern nur ein Mitgliederaustritt stattfand. So trug man sich am 26. November 1923 als Tübinger Sportfreunde ins Vereinsregister ein, während auch die SpVgg Tübingen die TFC-Jahreszahl 1903 im Vereinsnamen beibehielt.

Natürlich behielt die SpVgg den Platz in der Kreisliga, holte sich 1924 den 4. Platz, stieg aber ein Jahr darauf in die A-Klasse ab, wo es viel lokale Konkurrenz (Reutlingen, Nürtingen oder Kirchentellinsfurt), aber wenig Ruhmeslorbeer gab. Vor allem aber das Stadtderby mit den Tübinger Sportfreunden blieb in Erinnerung.

Als 1927 die neue Kreisliga Zollern eingeführt wurde, setzte der Verband sowohl Sportfreunde als auch SpVgg 03 in die zweithöchste Spielklasse ein. Für die Sportfreunde wurde es gewissermaßen eine Genugtuung, da sie in der Abschlußtabelle 1927/28 als Vierter zwei Plätze besser als Rivale SpVgg abschlossen. Der direkte Vergleich jedoch endete beide Male mit 2:2.

1928/29 änderte sich das Bild deutlich. Während die Sportfreunde mit einem unzufriedenen 7. Platz die Saison abschlossen, wurde die SpVgg 03 hinter SV 05 Reutlingen Vizemeister der Kreisliga. Nur im direkten Vergleich boten die Sportfreunde alle Kräfte auf, siegten jeweils mit 4:1. 1929/30 siegten die Sportfreunde gar mit 7:3, unterlagen aber auch mit 1:5, blieben aber wenigstens in der Tabelle wieder besser als die SpVgg.

Wie in anderen Städten (Stuttgart, Heilbronn) waren die Lokalkämpfe wahre Kämpfe und alles andere als "früher war alles besser".

1931 gab es ein einschneidendes Ereignis: während die Sportfreunde auf einem gesicherten Mittelfeldplatz landeten, wäre die SpVgg eigentlich abgestiegen. Eigentlich. Denn in Süddeutschland wurde als weitere Zweitligastaffel die Kreisliga Hohenstaufen eingeführt, und aus der Zollernstaffel wurden fünf Mannschaften dorthin eingeteilt, so dass es zu keinem Abstieg kam.

Wieder einmal hatten sich auch 1932 die Sportfreunde die lokale Spitzenstellung gesichert, und man wurde Tabellendritter, während die SpVgg nur auf Platz 5 rangierte. Auch 1933 blieb man als Vierter vor dem Lokalrivalen, der als Sechster die Kreisliga Zollern abschloß.

Mit den Nationalsozialisten änderte sich alles. Die Gauliga Württemberg als ranghöchste Spielklasse wurde eingeführt, und als Unterbau in Württemberg wurde die Bezirksliga eingeführt, in deren Staffel 3, Ost, beide Tübinger Vereine eingeteilt. Gegner war neben den altbekannten Weggefährten SV 05 Reutlingen und FV 09 Nürtingen Gegner wie der VfR Aalen, der FV Geislingen, Eintracht Neu-Ulm und --- der 1. FC Normannia Gmünd.

Gleich der erste Spieltag brachte Normannia an den Tübinger Stauwehr, wo die Sportfreunde nach spannendem Kampf mit 3:2 Sieger blieben. Am 8. Oktober 1933 empfing die Schwerzerelf die Spieler der SpVgg 03 Tübingen und besiegte sie vor 1.200 Zuschauern mit 4:1.

Sportlich verliefen die Jahre in der Bezirksklasse für beide Mannschaften zunächst nicht besonders rosig, die Sportfreunde steigen gar 1934 in die Kreisklasse ab. Lokalrivale SpVgg 03 Tübingen war somit in der mittlerweile Hohenzollern genannten Bezirksklasse allein, ohne dort sonderlich aufzufallen.
Bei der Premiere des DFB-Pokalvorläufers, dem Tschammer-Pokal, schied 03 Tübingen bereits in der württembergischen Vorrunde mit einer 0:1-Heimniederlage gegen den SV 98 Feuerbach aus.
Auch 1936 schied Tübingen in der 1. Runde Württembergs gegen Feuerbach aus (3:4). Dies blieb bis zum Ende des Dritten Reiches das einzige Auftreten einer Tübinger Mannschaft im Pokal.


Etwas erfolgreicher verlief die Ligasaison. 1938 hatte man nicht nur Nachbar Sportfreunde als Konkurrent in der Liga, sondern wurde auch Meister der Liga. Erstmals seit 1921 nahm die SpVgg wieder an Aufstiegsspielen zur Gauliga teil. Dort gab es allerdings aus einem 4:1-Heimsieg über die SpVgg 08 Schramberg nur Niederlagen, und man wurde Dritter und Letzter hinter der SpVgg Cannstatt und Schramberg.

Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde die Tübinger Spielklasse geteilt. Zwar war die Gruppe Achalm immer noch eine Bezirksklasse, aber die Gegner hießen nun Dußlingen, Pfrondorf oder Gomaringen - Gegner, zu denen man vorher nur zu Freundschaftsspielen antrat. 1940 wurde die Liga nur noch als 1. Klasse bezeichnet, war aber wieder eingleisig und qualitativ anspruchsvoller. Wie in alten Tagen landeten die Sportfreunde vor der SpVgg.

1941/42 mußte die SpVgg Tübingen bereits im Oktober ihre Mannschaft vom Spielbetrieb zurückziehen und wurden duch den SV Urach ersetzt, von den Sportfreunden fehlte schon vorher jede Spur. Wann genau in Tübingen der Fußballsport zum erliegen kam, läßt sich von mir nicht genau sagen, jedoch tauchten die Tübinger, im Gegensatz zu Reutlingen, das bis 1945 im Spielbetrieb war, nicht mehr in der Tagespresse auf.

Als das "Tausendjährige Reich" nach gut 12 Jahren in Rauch und Trümmern lag, da wehte auch über Tübingen eine andere Flagge: Frankreichs Tricolore wurde über Südbaden, Südwürttemberg und dem bayerischen Landkreis Lindau gehißt, und der Spielverkehr - sofern man denn schon an Fußball dachte - war sehr eingeschränkt. Am 12. Dezember 1945 verkündeten die Franzosen ein neues Vereinsrecht, es durften jedoch nur noch Einheitssportvereine unter neuen Namen gebildet werden.

So auch in Tübingen, wo der Oberbürgermeister die Vorsitzenden der ehemaligen Turn- und Sportvereine zwecks "Gründung des kommenden Groß-Sportvereins Tübingen" ins Rathaus einlud. So kam es letztlich nach einigem hin und her zur Gründung des Tübinger Sportvereins am 6. April 1946, in dem quasi von Tischtennis bis Leichtathletik alle erlaubten Sportarten ausgeübt wurden. Die große Zeit der Tübinger Fußballkonkurrenz war Vergangenheit, und das Tor offen für das Neue.

1947/48 gelang nach einem Entscheidungsspiel gegen den punktgleichen ASV Ebingen, das 1:0 gewonnen wurde, der Aufstieg aus der Landesliga Südwürttemberg, Staffel Nord in die Zonenliga Süd, wie die Oberliga Südwest hieß. Bis zu 4.000 Zuschauer verfolgten bei Heimspielen die Fußballer der Universitätsstadt, wenn es gegen Reutlingen, Schwenningen, Freiburg oder Konstanz ging. Hinter Fortuna Freiburg, hinter dessen Namen sich Altmeister Freiburger FC verbarg, schloß Tübingen seine Premierensaison auf Platz zwei ab. Damit hätte sich der Tübinger SV gar für ein Ausscheidungsspiel gegen den Nordzweiten qualifiziert, um an der Endrunde der Deutschen Meisterschaft teilnehmen zu können, doch verzichtete man 1949 darauf. Unter Trainer Lederer holte man sich jedoch 1949 den Südwürttembergischen Pokal, was der erste größe Erfolg der Nachkriegszeit darstellte.

Sportverein 03 Tübingen
Noch einmal, 1949/50, wurde Platz 2 erreicht, und diesmal wagte Tübingen den Gang zum Ausscheidungsspiel, doch war Wormatia Worms, der Nordvertreter, zu stark und besiegte Tübingen mit 6:1. 1950/51 brachte zweierlei. Zunächst einmal die Wiedergründung des Sportverein 03 Tübingen, der die Tradition beider Fußballvereine vereint - die meisten anderen Sportabteilungen hatten mittlerweile selber ihre alten Vereine wiedergegründet. Nicht minder bedeutend war die Zusammenlegung von Nord- und Südwürttemberg inkl. Lindau, woraus 1951 der Württembergische Fußballverband entstand. Damit verbunden war die Einführung der 2. Liga Süd, in der auch die Tübinger meldeten.

Die Zweitligasaison 1950/51 war, gelinde gesagt, ein Fiasko. Mit 26:110 Toren und 7-61 Punkten landete man abgeschlagen auf Platz 18 und stieg in die 1. Amateurliga Württemberg ab, wo man u.a. auch auf Normannia Gmünd traf. Doch auch diese Liga erwies sich als zu stark für die Kicker vom Neckar, und die Absteigerei ging als Vorletzter ungeniert weiter.

Innerhalb von drei Jahren war der SV 03 Tübingen von Pokalmeisterschaft und Qualifikation zur DM-Endrunde in der viertklassigen 2. Amateurliga gelandet. Von 1952/53 bis 1958/59 hießen die Gegner nun Mittelstadt, Donzdorf, Wernau, Truchtelfingen oder Marschalkenzimmern. Die Spielzeiten verliefen für die Tübinger meistens sehr durchwachsen. Nur 1957/58 hätte man die Chance gehabt, an der Aufstiegsrunde zur 1. Amateurliga teilnehmen zu können, doch am Ende fehlte ein Punkt zur Meisterschaft hinter dem VfB Reichenbach/Fils. Besonders ärgerlich war hierbei eine 6:2-Auswärtsniederlage beim VfL Pfullingen.

Was folgte, war die endgültige Demütigung. Ein Jahr nach der Vizemeisterschaft, als es durch die Einführung der Schwarzwald-Bodensee-Liga leichter gewesen wäre, in die oberste Amateurliga aufgenommen zu werden, da stieg Tübingen mit nur noch 7-49 Punkten und 17:79 Toren ab. 17 Tore! Erstaunlicherweise erzielte der SV-03-Sturm die meisten gegen Vorjahresmeister Reichenbach, und man feierte mit 4:2 einen von insgesamt nur drei Siegen.

Tübingen war in der A-Klasse Alb angekommen, der Traditionsverein maß sich mit Hülben, Derendingen oder Rommelsbach. Auf Platz 2 im Jahr 1961 folgte 1962 Meisterschaft und Wiederaufstieg.

Drei Jahre spielte man mehr schlecht als recht in der 2. Amateurliga, mußte sie jedoch 1965 als Staffelletzter wieder verlassen. 1967 gelang nicht nur die Rückkehr, sondern erreichte bereits 1969 die heute schon fast als legendär verklärte Schwarzwald-Bodensee-Liga. 1.700 Zuschauer wurden am 17. August 1969, dem 1. Spieltag, ins Tübinger Stadion gelockt, und erlebten gleich einen 1:0-Premierensieg über den SC Schwenningen. Schmid brachte die Einheimischen in der 62. Minute auf die Siegerstraße gegen den als wesentlich stärker eingeschätzten Vorjahresdritten. Nach einem 1:1 bei Wacker Biberach bejubelten gleich 2.000 Zuschauer den 3:0-Sieg über den FV Ravensburg im zweiten Heimspiel am 31. August.


Tübingen war sowohl vom Zuschauerzuspruch als auch sportlich in der obersten Amateurklasse angekommen. Erst am 6. Spieltag, der Partie beim Lokalrivalen SSV Reutlingen 05 Amateure, gab es eine 2:1-Niederlage in einem heißen Lokalkampf - von den 1.500 Zuschauern im Schatten der Kreuzeiche kam mehr als die Hälfte aus der Universitätsstadt. Im Rückspiel am 22. März 1970 revanchierte sich der Neuling vor 2.000 Zuschauern gegen die Reutlinger Regionalligareserve, wobei Marek der Torschütze des 1:0-Heimsieges war.

Der Tübinger Fußballrausch wurde jedoch noch intensiver. Als der letzte der 30 Spieltage der Amateurligasaison 1969/70 abgepfiffen wurde, da stand der kecke Neuling zusammen mit dem FC Wangen 05 punktgleich an der Tabellenspitze. Tübingen stand zwar durch sein Torverhältnis besser da als die Allgäuer, aber die württembergische Spielordnung sah bei Punktgleichheit in auf- oder abstiegsrelevanten Plätzen Entscheidungsspiele vor. Die Partie wurde nach Bad Saulgau  vergeben, und der Aufbruch der Tübinger Fußballfans gen Oberschwaben glich einer Völkerwanderung.

Die Vereinschronik von 2003 beschrieb die Szenerie treffend mit zeitgenössischen Sprachkolorit:

"...und wir können sagen, wir sind dabeigewesen! ... der Sonderzug schon auf der Hinfahrt nach Saulgau ein Triumph-Zug voller Glückseliger. Daß wir überhaupt nicht verlieren könnten (denn klar: hier kickten nicht bloß die SV-Mannen, hier kickte ganz Tübingen mit), ...über 1000 SV-Fans machten mobil und füllten den Zug bis auf den letzten Platz ... mit maximal 500 Interessenten gerechnet hatte, mußte man schnell noch fünf weitere Wagen ranhängen und eine zweite Lok vorspannen, .... 240 Meter lang war unser Fußball-Zug, der längste Personenzug, der je den Tübinger Bahnhof verlassen hat - viel zu lang für den kleinen Saulgauer Bahnhof: da mußten wir beim Aussteigen ... über die Schwellen hoppeln. ... Schon bei der Durchfahrt Derendingens standen die Leute Spalier und drückten uns, dem Sieg Entgegenbrausenden die Daumen. In Dußlingen und Mössingen war es nicht viel anders. ...

Bereits drei Tage später, am 10. Mai 1970, fuhr das Tübinger Wunderteam nach Geislingen an der Steige, um gegen den 1. Göppinger SV anzutreten - allerdings nicht zum Aufstiegsspiel zur Regionalliga, sondern zur Ermittlung des Württembergischen Meisters. Vor 3.000 Zuschauern unterlag der SV 03 nach Verlängerung gegen die Stauferstädter mit 2:3 - dabei fehlten zum Meistercoup nur wenige Sekunden: Tübingen führte mit 2:1, als Rudi Kauer die Verlängerung erzwang, die durch einen Foulelfmeter in der 110. Minuten zugunsten der Nordwürttemberger endete.



Dann warteten bereits am 20. Mai die Aufstiegsspiele zur 2. Liga, der Regionalliga Süd, und mit ihnen erneut Göppingen, der SV Waldkirch und der FV 09 Weinheim. Die Frage war, konnte sich Tübingen den Aufstieg überhaupt leisten? Im Prinzip war man froh, dass die Mannschaft von den Meisterschaftsspielen ausgebrannt war, denn so stellte sich die Frage gar nicht. Abgeschlagen wurde der SV 03 nur Dritter in der Aufstiegsrunde, und so ganz unglücklich war man in der Tübinger Chefetage nicht. Es mangelte an einem Stadion, einem Kader, einem Plan und vor allem Dingen: es mangelte an Geld. Tübingen war halt keine Fußballstadt.
Die nervenaufreibende Saison 1969/70 ging auch im Folgejahr nicht spurlos vorbei, als man in der Schwarzwald-Bodensee-Liga nur auf Platz 10 landete. 1972 wurde wieder ein vorderer Tabellenplatz erreicht, der Zuschauerschnitt war jedoch bereits schon auf 600 gesunken. 

1973/74 erlebte man die Genugtuung, den SSV Reutlingen 05 wieder in der Amateurliga begrüßen zu dürfen, aber selber kämpfte man sportlich ums überleben. Bereits am 2. Spieltag empfing das Team unter Trainer Rudolf Schafstall den Lokalrivalen Reutlingen, unterlag aber mit 0:3.  Auch im Rückspiel am 13. Januar 1974 sahen Schafstall und Tübingen kein Land, und mußten mit 1:4 die Segel streichen. Das einzige SV-Tor erzielte vor 2.545 Zahlende ("ohne Dauerkarteninhaber") Unger in der 84. Minute.

Tübingen landete auf dem vorletzten Platz und wäre unter normalen Umständen abgestiegen, wäre es in Schwenningen nicht zur Fusion zwischen dem Tabellenletzten SC Schwenningen und dem Tabellensiebten VfR Schwenningen zum BSV 07 Schwenningen gekommen.


Heimat seit 1975
1975 mußte das altehrwürdige Stadion in der Lindenallee, das immerhin zweimal (1955 und 1969) Austragungsort des WFV-Pokalfinales war, einem Tunnelbau weichen, und der Sportverein zog in das Leichtathletikstadion in der Europastraße, zwar ohne Fußballtradition, aber nicht minder altehrwürdiger Holztribüne.

Sowohl Tribüne als auch Fans erlebten noch einmal 1977/78 große Fußballfeste, als die Einführung der Oberliga Baden-Württemberg in den vier Amateurligen Baden-Württembergs zu einem regelrechten Wettrüsten für die begehrten Qualifikationsplätze führte. Knapp gescheitert ist halt auch gescheitert - so kann man diese Abschlußsaison der seit 1974 Amateurliga Südwürttemberg genannten Liga nur umschreiben. Bis zum letzten Spieltag kämpften die Gelb-Schwarzen um die Oberliga, doch statt Platz 5 blieb nach der entscheidenden Niederlage in Friedrichshafen nur Platz 7, der lediglich zur Teilnahme an der Verbandsliga Württemberg berechtigte.

Volles Haus 1977

Am 30. Juli 1978 um 15 Uhr begann das Abenteuer der nun ungeteilten höchsten württembergischen Amateurliga gegen die Amateure des VfB Stuttgart (2:2). Mit an Bord in der Liga waren Lokalrivale TSG Tübingen, dessen Gastspiel vom 1.000 Zuschauern verfolgt wurde, sowie der TSV Ofterdingen, bei dessen Auftritt am 16. Dezember 1978 1.400 Zuschauer beiwohnten - übrigens der Saisonrekord der Tübinger.
Wieder spielte man lange um den Aufstieg in die Oberliga mit, war acht Wochen lang gar Tabellenführer - und fiel am Ende doch nur auf den undankbaren 3. Platz zurück.

Auch 1979/80 gehörte der SV 03 Tübingen lange Zeit zu den Aufstiegskandidaten oder zumindest zum ernsthaften Anwärter auf den Relegationsplatz. Diesen mußte man jedoch am Ende dem Konkurrenten SSV Reutlingen 05 überlassen, während VfR Aalen als Verbandsligameister direkt durchmarschierte. Selber landete man nur jenseits von "gut und böse" auf den 5. Platz.

Nach einem enttäuschenden 12. Platz in der Spielzeit 1980/81 erfolgte schließlich im "Jahr des verschärften Abstiegs" 1981/82 der Sturz als 17. in die fünftklassige Landesliga. Dort blieb man in Augenkontakt zum Aufstieg, wo am Ende nur 3 Punkte fehlten. Vor allem das 0:6 an der Europastraße gegen den späteren Meister TSV Pliezhausen schmerzte dabei besonders.

Nach einem enttäuschenden 5. Platz 1983/84 folgte nochmals ein - zur Spitze weit abgeschlagener - 3. Platz in der Saison 1984/85. Der erste Tabellenführer der Saison 1985/86 hieß nach einem 4:0-Auswärtssieg bei TuS Ergenzingen SV 03 Tübingen, aber mit 10 Punkten Rückstand zum VfL Nagold reichte es nur zum Vizemeister, womit man nichts anfangen konnte. Zwei Punkte aus dem Spiel gegen den SV Zimmern o.R. wurden zudem am "grünen Tisch" errungen.


Dennoch: Tübingen wollte wieder nach oben. 1987 blieb wieder nur der 2. Platz als Trostpreis, wiewohl man Meister VfL Pfullingen mit 5:0 im SV-Stadion ordentlich demütigte. Schon im Hinspiel im Schönbergstadion erkämpfte sich am 26. Oktober 1986der SV 03 vor 500 Zuschauer ein 1:1. Das Rückspiel am 10. Mai 1987 wurde zum bereits erwähnten Debakel für Pfullingen, dass eigentlich sein Meisterstück machen wollte, aber vor 200 Zuschauern nach bereits 10 Minuten mit vier Treffern zurücklag! Zumindest verhindern konnten es die Tübinger, dass die Pfullinger Sektkorken in ihrem Stadion knallten.

Allerdings kamen dunkle Zeiten auf die Universitätsstädter zu. Nach einem mageren 5. Platz 1988 stürzte der Club auf einen neuen Tiefpunkt zu. 1988/89 war der Abstieg in die Bezirksliga Alb mit einem Rückstand von nur einem Punkt nicht zu verhindern. Was half es, noch am 34. Spieltag den Meister TSV Ofterdingen mit 1:0 zu blamieren? Am 36. und letzten Spieltag gab es ein Tripelfinale gegen den Abstieg. Ex-Zweitligist BSV 07 Schwenningen, der SV Zimmern o.R. und der SV 03 Tübingen lagen mit 29-41 Punkten gleichauf, aber nur für ein Team war das Tor für die Landesliga offen. Während Zimmern in Aidlingen mit 3:0 unterging, rettete Schwenningen ein 1:0-Heimsieg gegen Nagold über die Zeit. In Tübingen ging gegen TuS Ergenzingen alles schief, und mit neun Mann erkämpfte man sich noch ein 2:2-Unentschieden, was jedoch zu wenig war. Den Tübingern wurde jedoch ein Elfmeter verweigert, der die ganze Geschichte möglicherweise geändert hätte.

Vom sofortigen Wiederaufstieg wurde nichts. Mitabsteiger SV Hirrlingen landete aufgrund der besseren Tordifferenz punktgleich vor den Tübingern. Hirrlingen kam auf +53, Tübingen nur auf +46.


Die Rückkehr gelang 1990/91. Mit 51-17 Punkten und 72:32 Toren gelang souverän die Meisterschaft in der Bezirksliga Alb und die Rückkehr in die Landesliga, wo allerdings postwendend als Vorletzter der Wiederabstieg kam. Bereits 1992/93 wurde dieser Zustand revidiert. Mit einem Punkt Vorsprung vor dem FC Rottenburg wurde Tübingen Meister und und mußte nun druch die "süße Hölle Aufstiegsspiele", da diesmal nur 3 Mannschaften aufsteigen konnten.

Gleich das Hinspiel beim Schwarzwald-Meister FC Frittlingen konnten die Nulldreier vor 700 Zuschauern mit 2:1 für sich entscheiden. Es schien alles klar für die Aufstiegsfeier im heimischen Stadion. Doch die 600 Zuschauer wurden gnadenlos enttäuscht. Mit 0:2 zog man unter der Spielleitung des Bundesliga-Schiedsrichters Eugen Striegel den Kürzeren und mußte gegen den SpVgg Holzgerlingen nachsitzen.



Jene "Nachsitzer-Partie" verfolgten im Hinspiel 650 Zuschauer in Tübingen, darunter der am Sportinstitut der Uni studierende Walid Al-Kayed, der die Partie mit seiner Videokamera filmte und die Aufnahmen für seine Doktorarbeit zum Thema "Aggressions-Motivation im Sport" verwendete. Später sollte der Jordanier beim SSV Reutlingen 05 im Trainerstab stehen, u.a. als Interimstrainer der 1. Mannschaft 2010. Zu sehen bekamen er und die anderen Fußballanhänger einen 2:0-Sieg Tübingens. Doch im Rückspiel egalisierte Holzgerlingen die Hinspielniederlage, und am Ende entschied das Elfmeterschießen über "Wohl und Wehe" der Ligazugehörigkeit. Holzgerlingen zeigte dabei nerven. Gero Sindek hielt einen Elfer, den der Schiri aber wiederholen ließ. Daraufhin semmelte Holzgerlingens Schneider den Ball über die Latte, Riedlinger schoß den Ball vorbei und auch Gebel knallte den Ball nur an die Latte. Spannender steig Tübingen wohl noch nie auf. Unter den 1.200 Zuschauern war auch der spätere Landesligatrainer des SV 03, der auf der Ostalb nicht unbekannte Böbinger Peter Zeidler.

Mit der Maßgabe, den Klassenerhalt in der Landesliga zu schaffen, trat Zeidler sein Amt an und scheiterte äußerst furios. Denn am Ende der Saison 1993/94 stand der Neuling vor seinen Verfolgern Nagold, Zimmern und Gärtringen sensationell auf Platz 1 der Landesliga, und das Zeidler-Team konnte den langgehegten Traum des Verbandsligaaufstiegs endlich erfüllen.

Der Verbandsliga-Auftakt am 14. August 1994 ging beim SV Berlichingen mit 0:2 verloren, und auch in der Heimspielpremiere am 21. August 1994 gegen den FV Ravensburg mußte man sich mit 1:3 klassisch auskontern lassen. Burkhardt Kolb durfte sich dabei als erster Tübinger Verbandsliga-Torschütze seit Wiederaufstieg in die Annalen eintragen. Zu Saisonende standen nur 13 Pluspunkte zu buche, und der SV 03 stieg wieder ab. Während Peter Zeidler dem Verein die Treue hielt, verließen 11 Leistungsträger den SV 03.

Die Talfahrt nahm kein Ende. 1996 rettete man sich erst am letzten Spieltag zum Klassenerhalt, und 1997 schließlich stand man mit nur 10 Punkten am Ende der Tabelle. Förmlich erleichtert war man in Tübingen nach dem letzten Schlußpfiff, das dieses "Horror-Jahr" endlich zu Ende ging.



Wieder einmal startete Nulldrei in der Bezirksliga Alb, wo man 1998 auf Platz 6 landete. Im Saisonfinale mit Lokalrivalen TSG Tübingen - am vorletzten Spieltag gab es vor 700 Zuschauer einen 1:0-Sieg bei der TSG - landeten die Nulldreier 1998/99 mit nur einer Niederlage auf den 1. Platz und konnte die Rückkehr in die Landesliga feiern. Mit 50 Punkten und einem zufriedenstellenden 7. Platz konnte der SV 03 das Millenium feiern. In den folgenden Jahren wurde Tübingen wieder ein fester Bestandteil der Landesliga, landete zumeist im gesicherten Mittelfeld, musste jedoch 2008 die Liga als Tabellenletzter wieder verlassen. 2009 war man in der Bezirksliga nicht mal weit vom Abstiegsplatz zur Kreisliga entfernt. Die Tübinger stabilisierten sich zwar in der Liga, hatten aber mit Aufstieg nichts zu tun. Ein 3. Platz mit deutlichem Rückstand zum Relegationsplatz war 2011 noch eine deutliche Leistungssteigerung und die beste Platzierung der letzten Jahre.

Schauplatz Kuchenbuffet

In der aktuellen Saison spielt man endlich wieder um den Aufstieg zur Landesliga mit, wo ein Traditionsverein wie der SV 03 Tübingen meiner Meinung nach auch mindestens hingehört.

Das SV-03-Stadion ist vom Tübinger Hauptbahnhof in einem kurzen Fußmarsch zügig zu erreichen, was die Spielstätte für mich, der auf ÖPNV angewiesen ist, besonders attraktiv macht.


Ehre, wem Ehre gebührt.
Eins hat sich seit Vereinsgründung 1903 nicht geändert: Tübingen ist nun mal keine Fußballstadt, auch wenn sich Verein und Stadt oft genug mal in einen Fußballrausch spielen. In der Universitätsstadt blüht die Leichtathletik, wie u. a. die leuchtend blaue Tartanbahn im Stadion verrät. Den Ausbau zur modernen Leitathletikanlage verdanken die Tübinger dem örtlichen Unternehmen Paul Horn GmbH, das durch seine finanzielle Unterstützung die sechs Laufbahnen erst möglich machte.

Auf den Weg zu den
Walter Tigers
Paul Horn ist aber auch das Stichwort für die wahre Sportleidenschaft in Tübingen. In der gleichen Straße befindet sich mit der Paul Horn-Arena - sie schreibt sich tatsächlich nur mit einem Bindestrich - die Heimat der Walter Tigers, den Basketballern des SV 03 Tübingen, die mit ihrer damaligen Umbennung im Gesamtverein eine Diskussion um Idealismus und Kommerzialisierung auslösten.

Und während die Fußballer vor einem überschaubaren Rahmen spielen, lockt die Basketball-Bundesliga Fans aus dem weiteren Umland in die Europastraße. Herrscht deswegen Neid und Mißgunst bei den Fußballern? Davon war nichts zu spüren. Im Gegenteil, man macht das Beste daraus, im Schatten der Korbjäger zu stehen, lädt die Tigers-Fans quasi zum Vorglühen zum Fußball ein. Pragmatismus nach meinem Geschmack. Schließlich hat reine Fußball-Nostalgie hat noch keinem Verein zum überleben verholfen, Traditionsverein hin oder her.

Der "Verein umme Ecke"
Mitnichten ist allerdings alles Hoffnungslos. Bei meinem Besuch fiel mir die große Zahl an jungen Familien auf, die dem Spiel beiwohnten. Mag sein, das die geräumige Tartanbahn ein sicherer Platz für die beiden kleinen Mädchen war, die dort mit Inbrunst ihr Radrennen ausübten, oder die Weitsprunganlagen gleichzeitig ein idealer Sandkasten fie Allerkleinsten darstellen. Gut möglich auch, dass es auch einfach der Spaß am Fußball ist, der ein paar Jungs das Vergnügen einbrachte, mit den Ersatzspielern ein paar Ballabgaben zu üben. Vielleicht trägt auch das Kaffee- und Kuchenbuffet auf Vertrauensbasis dazu bei, das SV-03-Stadion als Zielort eines Sonntagsspaziergangs zu machen. Wie auch immer, das sind beste Voraussetzungen, die Nulldreier als einen klassischen "Verein umme Ecke" zu sehen.











Belustigend fand ich den Umstand, einen Golfschläger bei einem Zuschauer zu sehen. Aber bevor sich jetzt jemand Gedanken macht: natürlich gibt es hier keinen Nulldrei-Hools, die bereit zu Gewalt und Krawall in die Europastraße kommen. Oder waren das Wittlinger? Ist doch völlig egal, der Golfschläger steht eher symbolisch für die Entspanntheit im schwäbischen Amateurfußball, wo man eben mal kurz auf den Sportplatz geht, um sich von Freunden und Bekannten einen Golfschläger auszuborgen oder zurückzuerhalten. Zudem ist so ein Golfeisen auch ein idealer Stützstock. Sonntag, Sonne, Golf und Fußball - Herz, was willst Du mehr.



Apropos Fußball: das wurde ja auch noch gespielt, und das war ja der eigentliche Grund meiner Reise. Auch wenn die herrliche Holztribüne sicherlich der Hingucker schlechthin ist - ich bin doch kein Groundhopper, der irgendwelche imaginären Punkte sammelt, weil er ein Stadion aufgesucht hat. Wenn man mich schon in eine Kategorie drängt, dann eher als eine Art "Clubhopper" oder "Handelsreisender in Sachen Fußballnostalgie". Für mich ist es aufregender zu wissen, dass das gelbe Trikot von Generationen von Spielern getragen wurde, Höhen und Tiefen im Verein durchlebt wurden, ein Verein aber dennoch lebendig ist und nicht in der Vergangenheit verharrt.


Fußball im Schatten des Tübinger Schloßes
Für die Nulldreier war es immens wichtig, im Fernduell um den Landesligaaufstieg mit dem SSV Reutlingen 05 II keine Schwäche zu leisten und womöglich wichtige Punkte zu lassen. Tübingen machte daher bereits zu Beginn gegen Wittlingen Druck, und kam zu ersten guten Chancen. Nur zum Torjubel bestand noch keine Möglichkeit. Nur einmal wurden Fans und Spieler kurz getäuscht, aber nur das Gästetornetz zappelte nur von außen.
Ein Scheintor










Lehrbuchmäßig getretene Ecke - aber auch ohne Torfolge
Die ersten Halbzeit verlief für Tübingen nicht zufriedenstellend. Zwar hatte man die besseren Chancen als die Gäste aus dem Ermstal, nur das ominöse Runde wollte nicht in das noch ominösere Eckige.

Auch in der 2. Halbzeit spürte man den immensen Torhunger der Tübinger an. Doch die Gästeabwehr stand sehr kompakt und sicher, oder auch der Ball hatte schlicht keine Lust, von einem Netz aufgefangen zu werden.


Mittlerweile nahm auch der Lärmpegel zu - doch die wilde und motivierende Trommellei kam von der anderen Straßenseite, wo Fans der Walter Tigers auf den Einlaß in die Einbindestrich-Arena harrten und sich schon in Stimmung auf einen spannenden Basketball-Bundesligaabend brachten.

Verschossener Foulelfmeter
Aber dann kam es in der 60. Minute zu einem Wittlinger Foul im Strafraum, und die logische Konsequenz hieß schlicht und ergreifend - Elfmeter. Doch wenn der Wurm einmal in einer Mannschaft steckt, dann richtig. Nadeem Ahmed lief an, aber der Ball ging vorbei.

Es schien bereits so, als ob sich alles gegen die Gastgeber verschworen hätte, da ließ sich zwei Minuten später Felix Müller mustergültig den Ball von seinem Teamkollegen Ersah Öztürk zuspielen, entfleuchte seinem Bewacher und erlöste mit einem lehrbuchmäßigem Tor den Tübinger Anhang. Verdientermaßen - und vielleicht auch etwas erleichtert - machte er den "Müller auf dem heißen Blechdach", und sein Treffer sicherte ihm den verdienten Platz in der Schwitzkasten-Elf des Tages des Schwäbischen Tagblatts.

Der Müller auf dem heißen Blechdach

"Plauderstündchen" zwischen Schiri
Julius Wick und Wittlingens Sebastian Gresch
Nun wollte auch der TSV Wittlingen nicht hintenan stehen, aber eine richtig dicke Torchance blieb dabei aus, oder wurde von Tübingens Torhüter Holger Eißele verhindert.

Und wie es nunmal im Fußball so ist - wenn die Mannschaft, die hinten liegt, alles nach Vorne wirft um den Rückstand zu egalisieren, dann fängt man meistens noch eins ein. So auch die Wittlinger, die sich in der 82. Minute in der Verteidigung einen bösen Fehlpass leisteten, der vom an diesem Tag prächtig aufgelegten Ersah Öztürk abgebrüht ausgenutzt und sicher zum 2:0 verwandelt wurde.


Bei diesem Ergebnis blieb es dann auch, und die Tübinger erfreuten sich über wichtige drei Punkte im Aufstiegsrennen. Für die Wittlinger bleibt im Prinzip alles beim alten - jenseits von gut und böse halt.

Auf dem Weg zurück zum Bahnhof ein völlig anderes Bild, als bei meiner Anreise. Ein Ordnungsdienst regelt den Straßenverkehr, Zuschauermassen mit gelb-schwarzen Schals strömen in die Europastraße, und ich kämpfe mich ein wenig im Zickzack-Kurs zurück, um meinen  Zug zu erreichen. Das ganze Towubahohu gilt natürlich den Tigers der Paul Horn-Arena.

Tübingen war noch nie, wie eingangs erwähnt, eine Fußballstadt. Und doch sind die Fußballer des SV 03 Teil der Stadt und Bestandteil der Geschichte Tübingens. Die Vergangenheit hat gelehrt, dass das Tübinger Publikum sich durchaus in einen Fußballrausch steigern kann, wenn es für die Fußballer um etwas geht. Jetzt, wo die Chance besteht, endlich wieder in die Landesliga zurückzukehren, würde ich mich wenigstens über ein kleines "Räuschle" freuen. Die Nulldreier hätten es wahrlich verdient.

SV 03 Stadion und Paul Horn-Arena






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