Sonntag, 27. Mai 2018

27. Mai 1967: Das erste offizielle Elfmeterschießen in Deutschland - drei Jahre vor der "Erfindung"


Elfmeterschießen sind ja so ein Nervenkitzel, den die Engländer nicht sonderlich mögen sollen. Ich selber hatte auch stets ein zwiespältiges Verhältnis zu dieser Art Ausscheidung, seit ich als junger Mensch die legendäre "Nacht von Sevilla" am TV erleben durfte. Wenige Jahre später, mein Herz schlug damals für Borussia Mönchengladbach, erlebte ich unter Zornestränen die bittere Niederlage der Fohlenelf im ersten DFB-Pokalfinal-Elfmeterschießen mit.

Aber bei aller Haßliebe zu den „Schüssen von der Strafstoßmarke zur Siegerermittlung“: bedeutend gerechter als der früher praktizierte schnöde Münzwurf ist diese Art der Siegerermittlung allemal. 


Karl-Wald-Straße in Penzberg.
Foto: Fanimo; Originaldatei auf Wikimedia commons; Veröffentlicht unter Lizenz CC4.0
Noch heute gilt der bayerische Schiedsricher Karl Wald (1916 - 2011) als Erfinder des Elfmeterschießens, hat er doch schließlich am 30. Mai 1970 beim bayerischen Verbandstag die Einführung des Elfmeterschießens durchgesetzt, und DFB, FIFA und UEFA folgten brav dieser Entscheidung. In Penzberg hat man 2014 gar eine Straße nach ihm benannt, verweist ein Zusatzschild auf den "Erfinder des Elfmeterschießens". Auf der von seinem Enkelsohn betriebenen Homepage wird diese Legende weitergesponnen. Nicht nur in der Schweiz stößt diese Aussage sauer auf. "Deutsche Frechheit" ist da beispielsweise zu lesen, habe doch schließlich bereits 1962 Kurt Weissbrodt als Gründer des Uhrencups das "Penaltyschiessen" eingeführt, wie ein zeitgenössischer Zeitungsartikel darlegt. 

Aber auch Weissbrodt darf sich nicht als "Erfinder" feiern lassen, und das "erste Penaltyschiessen der Geschichte", wie im Artikel behauptet, fand auch nicht in der Schweiz statt. Bereits in den frühen 1950er Jahren wurden Spiele im jugoslawischen Pokal - also einem offiziellen Wettbewerb - mittels Elfmeterschießen entschieden; und auch in Italien kam Inter Mailand 1965 durch Elfmeterschießen ins Finale, also 5 Jahre vor der Wald'schen "Erfindung".

Was die FIFA anbelangt, so veröffentlichte sie bereits im August 1969 eine vom Israeli Yosef Dagan eingebrachte Idee des Elfmeterschießens, die im Februar 1970 im International Football Associatons Boards (IFAB) diskutiert wurde, also gut drei Monate vor dem besagtem Verbandstag in Bayern.

Je mehr man sich auf die Suche nach dem "ersten mal" oder "dem Erfinder" macht, desto eher stellt man fest, dass das Kind Elfmeterschießen viele Väter hat, aber keinen klassischen Erfinder, der etwas völlig Neues entworfen und eingebracht hätte. "Dass es auch ein paar andere gibt auf der Welt, die sich als Erfinder des Elfmeterschießens sehen, das gilt für die Menschen in Penzberg nicht", sagt allerdings alles über die bayerische Selbstverständlichkeit aus, und dieser eigentlich liebenswerte Mythos des Karl Wald als Vater des Elfmeterschießens wird sich wohl nie mehr aus den Köpfen verbannen lassen.


Ebenfalls beliebt ist die Vorstellung, das DFB-Pokalspiel zwischen FC Schalke 04 und dem VfL Wolfsburg am 23. Dezember 1970 hätte das erste Elfmeterschießen in einem Pflichtspiel in Deutschland erlebt. Aber, man ahnt es bereits: auch das stimmt so nicht, sondern es war nur das erste Elfmeterschießen in einem Wettbewerb auf DFB-Ebene.

Elfmeterschießen waren in Deutschland gar nicht unbekannt, wenn auch noch nicht als hochoffizielle Form der Entscheidung im Aktivenfußball vorgesehen. Auf diversen Turnieren, die allerdings eher Volksbelustigungscharakter hatten, entschieden schon deutlich früher verschiedene Formate des Elfmeterschießen über Wohl und Wehe des Sieges. Als der SV Hülben auf der Alb beispielsweise sein 40. Gründungsjahr am 30. Juli 1961 mit einem "Jedermannturnier" feierte, da kam es in Gruppe 1 zu einem Gleichstand zwischen Sportverein, Gesangsverein und Christlichem Verein Junger Männer. Das anschließend ausgetragene Elferturnier klang im Durchführungsmodus (5 Schützen pro Verein) eher nach dem Torwandschießen im ZDF.

Auch sonst findet man "Elfmeterturniere" in Dorfolympiaden auf einer Ebene mit Schubkarrenrennen oder Faßspringen.

Das 11. Jugendfußballturnier des TuS Metzingen Anfang August 1963 benötigte zwischen der A-Jugend des SSV Reutlingen 05 und dem TSV Undingen ebenfalls das Elfmeterschießen zur Entscheidung über das Weiterkommen.

Fahrt im Elfmeterschießen kommt im Jahre 1965 auf. Im Februar 1965 beschließt der Arbeitsausschuß der Interessengemeinschaft der Bodensee-Fußballverbände (IBFV) das Elfmeterschießen im renommierten Bodensee-Cup, einem Turnier der Amateurauswahlmannschaften der Mitgliedsverbände, einzuführen. Mitglieder waren und sind u. a. der südbadische und der württembergische Fußballverband. Der bayerische Fußballverband trat mit seinem Bezirk Schwaben allerdings erst 1969 bei, sollte aber spätestens dann von dieser wichtigen Regelabweichung gehört und diese in seinen Schiedsrichter-Gremien kommuniziert haben.

Zu Pfingsten siegte im Jugendturnier die gastgebende Mannschaft der TSG Reutlingen über den Rheydter SpV im Elfmeterschießen, die aber dann großzügig auf den Pokal zugunsten der Gäste aus Nordrhein-Westfalen verzichteten.

Einen Monat später verkündet die Ausschreibung zum Sommerturnier des FC Mittelstadt ebenfalls, das im Falle eines Unentschiedens nach Verlängerung ein Elfmeterschießen mit 5 Spielern pro Mannschaft die Entscheidung bringen solle.

Vorreiter in Sachen "deutsches Elfmeterschießen" war dann der Württembergische Fußballverband, der allerdings in schwäbischer Bescheidenheit diese Tatsache nie sonderlich groß an die Glocke hing. Bereits zur Saison 1965/66 wurde das Elfmeterschießen in Pokalspielen des WFV offiziell eingeführt. Als am 12. September 1965 die 1. Runde der Bezirkspokale startete, hieß es zu Rundenbeginn: "Stehen die Begegnungen nach Ablauf der 90 Minuten unentschieden, werden sie um 2mal 15 Minuten verlängert. Ist dann immer noch keine Entscheidung gefallen, müssen die Spiele auf dem Platz des Gegners wiederholt werden. Fällt auch im Wiederholungstreffen nach Verlängerung keine Entscheidung, wird erstmals die neue Regelung des Württ. Fußball-Verbandes Anwendung finden und mittels Elfmeterschießen die endgültige Entscheidung gesucht" (Reutlinger General-Anzeiger vom 10. September 1965, Seite 13).

Diese Art der Spielentscheidung im WFV-Bereich wurde spätestens 1967 auf die Spiele um die Württembergische Meisterschaft und dem Teilnehmer zur Deutschen Amateurmeisterschaft ausgedehnt - damals spielte die 1. Amateurliga Württemberg in den zwei Staffeln Nordwürttemberg und Schwarzwald-Bodensee.

Laut Angaben des Württembergischen Fußballverbandes fand das erste Elfmeterschießen am 27. Mai 1967 statt - zwei Jahre nach Einführung also. Unsicher bin ich, ob es nicht doch irgendwo in einem WFV-Bezirkspokal ein Elfmeterschießen gegeben hat. Denn noch in seiner Festschrift zum 50. Geburtstag des WFV legte dieser das erste Elfmeterschießen nach Nürtingen zum Entscheidungsspiel zwischen SSV Reutlingen 05 Amateure und dem SC Geislingen. Dies fand allerdings erst 1968 statt.

Der Grund für diese Unsicherheit ob des Datums könnte daherrühren, dass in den veröffentlichten Ergebnissen schlicht nicht vermerkt war, ob eine Partie in die Verlängerung oder gar Elfmeterschießen ging. So auch beim 27. Mai 1967, den ich erst durch lesen der Spielberichte überhaupt einordnen konnte. 




An jenem Tag fand die 2. Hauptrunde des WFV-Pokals und das Entscheidungsspiel zwischen dem FCTV Urbach und dem TV Echterdingen um den Abstieg aus der 2. Amateurliga statt. Bei Letzterem war klar, dass der 2:1-Sieg der Urbacher nicht im Elfmeterschießen errungen wurde, bei den anderen Partien schien auch alles gewohnt zu sein. 

Nun also schien guter Rat teuer, wäre an jenem Tag nicht auch mein 1. FC Normannia Gmünd aus dem Pokal geflogen, mit 3:5 bei der SpVgg 07 Ludwigsburg. Denn dazu habe ich ja mein Normannia-Archiv angelegt, und tatsächlich entpuppt sich dieses unscheinbare Ergebnis als das (vermeintlich) erste Elfmeterschießen in einem Pflichtspiel der Bundesrepublik!


Rems-Zeitung vom 29. Mai 1967
Nur ca. 500 Zuschauer waren Zeuge dieses historischen Ereignisses im Ludwig-Jahn-Stadion zu Ludwigsburg, und wahrscheinlich ordneten sie dieses Ereignis auch gar nicht richtig ein. Die Welt hatte schließlich andere Probleme. Der Schah von Persien traf einen Tag später zu seinem Staatsbesuch in der Bundesrepublik ein, was später zum "Polizeistaatsbesuch" wurde; und im Nahen Osten kam es zu Truppenbewegungen, die kurze Zeit später im Sechstagekrieg zündeten. Was war da schon ein Fußballspiel im Landespokal, zumal Eintracht Braunschweig kurz vor der Bundesligameisterschaft stand?

Normannia machte in Ludwigsburg einen 1:3-Rückstand wett und erzwang so die Verlängerung, die jedoch ohne weitere Tore ausfiel. Schiedsricher Lock aus Jagstfeld ließ dann das Elfmeterschießen entscheiden, das allerdings damals in einer anderen Reihenfolge ausgespielt wurde. Erst schoß eine Mannschaft ihre Fünf Versuche, anschließend kam fünfmal die andere Mannschaft dran. Eine schweißtreibende Sache für die Keeper!

Schwarz vom 1. FC Normannia Gmünd kann für sich beanspruchen, den 1. Treffer bei einem offiziellen Elfmeterschießen in Deutschland erzielt zu haben, gefolgt von Werner Ritzer (meinem früheren Sport- und Geografielehrer). Anton Graf von der Normannia legte dafür den Ball gekonnt über das Tor, womit auch diese Premiere (leider) nach Schwäbisch Gmünd wandert. Ganz wie Normannia legte auch Ludwigsburg vier von fünf Möglichkeiten ins Netz, ein Schuß ging neben das Tor. Somit kam es zur Premiere Nummero zwei, dem ergänzenden Elfmeterschießen. Auch hier war das Reglement anders - wieder durften fünf Normannen zuerst schießen, gefolgt von fünf Ludwigsburgern. 07-Torhüter Reber schafft es dann auch, den Ball von Schwarz zu halten, was eine kuriose Doppelpremiere darstellt, denn nach heute gültiger Regel hätte Schwarz auch gar nicht mehr schießen dürfen. 

Unmut löste jedoch die Regelauslegung des Schiris aus. Nachdem Hespels Schuß im zweiten Durchgang erst den Innenpfosten und dann das Tor traf, entschied Lock auf "kein Tor!" Seiner Meinung nach hätte der Ball direkt ins Tor befördert werden müssen, die Schwerzer-Elf hingegen war kundiger in Bezug zu den Ausführungsbestimmungen und wies darauf hin, das lediglich der Nachschuß untersagt sei. Die Normannia, die ob dieser Auslegung die Partie verlor, legte beim Verband Protest ein (auch ein Novum), und bekam eine sehr seltsam anmutende Antwort aus der Stuttgarter Goethestraße, nämlich "daß ihr Protest berechtigt sei, daß es aber bei Pokalspielen die Möglichkeit eines Protestes gar nicht gebe". Und so schied der 1. FCN tatsächlich durch Unvermögen des Bürokratendschungels aus.

Weiter oben erwähnte ich ja, Ludwigsburg sei "wahrscheinlich" der Austragungsort des 1. Elfmeterschießens. Ähnlich wie beim Normanniaspiel statt 9:12 ein 3:5 steht, vermerken ja auch die anderen 24 Spiele nichts über Verlängerung und Elfmeterschießen. Ausschließen kann ich nur folgende Partien, die allesamt gesichert in 90 oder 120 Minuten über die Bühne gingen:

SSV Reutlingen Amateure gegen Germania Bietigheim 5:0
SV Wannweil gegen TG Gönningen 4:1 n. V.
SpVgg Mössingen gegen 1. FC Eislingen 4:2
FC Wangen 05 gegen SV Kreßbronn 6:0
SV Tannheim gegen TG Biberach 1:4
FV Olympia Laupheim gegen SG Aulendorf 5:1
FC Wacker Biberach - FV Bad Schussenried 1:4
TSV Meckenbeuren gegen VfB Friedrichshafen Ib 3:1

Bei den verbleibenden Spielen kann daher also durchaus noch ein Elfmeterschießen versteckt sein.

Und Karl Wald? Ich denke schon, dass er ein wichtiger Impulsgeber für die moderne Variante des Elfmeterschießens war, wiewohl der Bayerische Fußballverband diese Regelung erst für die Spielzeit 1970/71 einführte. Er konnte jedoch bei seiner "Erfindung" aus dem Vollen schöpfen, um sich aus dem seit 1952 erprobten Pool der Elfmeterentscheidungen die Idealform zusammenzubasteln. 

Wer hat's erfunden? Wahrscheinlich ein jugoslawischer Verbandsfunktionär, dessen Name heute längst in Vergessenheit geraten ist. In Deutschland hingegen gebührt das Lob, dem Münzwurf den Garaus gemacht zu haben, tatsächlich den Württembergern.

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