Sonntag, 15. März 2015

Feld der Träume - TSV Berg 1959 gegen Normannia Gmünd

Wer mit dem Ball umgehen kann, auf den blickt die Welt.

In Oberschwaben, denkt man, ist es flach. Zumindest wenn man von der Schwäbischen Alb verwöhnt und im Studium geologischer Karten unbeholfen ist. Dabei hat die Eiszeit dort im Oberland ziemlich gewütet und gehaust, aber so eine beeindruckende Landschaft entstehen lassen, als die Gletschervandalen sich endlich wieder vom Acker machten. Ich jedenfalls zähle oberschwäbische Landschaft und Brauchtum nach der Schwäbischen Alb zu meinen liebsten Regionen in Baden-Württemberg, sogar noch vor dem Schwarzwald. Als ich eine Mitfahrgelegenheit zum Rückrundenauftakt in Oberschwaben erhielt, griff ich natürlich gleich zu, und das es dort alles andere als flach ist, belegt der Name des Zielorts: das 4.000 Seelen zählende Dorf Berg im mittleren Schussental.

Schon die Fahrt dahin: ein Traum! Vom Remstal über die noch Schnee führende Alb, am Ulmer Münster vorbei durch Oberschwaben mit seinen typischen Kirchturmspitzen, die schon ein klein wenig an Bayern erinnern. Ich bedaure die Fans in der fünftklassigen Oberliga Hamburg oder der Bremen-Liga, die zum Auswärtsspiel mit der Straßenbahn fahren können, während man in der sechstklassigen Verbandsliga Württemberg solche Reisen auf sich nehmen darf.


Zufahrtsweg zum Stadion

Der TSV Berg ist ein Spätzünder - zumindest was das Fußballspielen anbelangt. Erst 1959 aus der Taufe gehoben - es gab zu Beginn der 50er Jahre einen kurzlebigen Versuch mit dem SV Berg - erblickte der Verein tatsächlich erst das Licht der Welt, als die letzte Gründungswelle in Württemberg (1955) längst wieder verebbt war. So gehört Berg auch nicht zu den Vereinen, die in den so gerne als "gute alte Fußballzeit" umschwärmte Epoche in der ersten oder zweiten Amateurliga kickten. Einen ersten Erfolg verzeichnete der Club 1963 mit dem Aufstieg in die B-Klasse, später kam sogar ein Aufstieg in die A-Klasse hinzu, was umso sympathischer ist, da der damalige Trainer Nickedei nicht nur den TSV Berg, sondern auch die "Königlichen" Sportfreunde Altshausen trainierte (die allerdings im Nachbarbezirk Donau gegen das Leder traten).

Fußballerisch gehört der TSV Berg zum WFV-Bezirk Bodensee, und in den Spielklassen dort verbrachte er lange Zeit seit Vereinsgründung. Um an Abschlußtabellen und Ergebnissen jener Zeit zu kommen, muß man schon ganz tief in den Archiven graben. Nicht wie Andernorts, wo man heute noch von Zeiten der Schwarzwald-Bodensee-Liga schwärmt. Berg taucht nur selten mal, meistens in Verbindung mit dem Schussenpokal aus dem Dunkel der Geschichte auf.

Aber der Verein hatte auch keinen leichten Stand. Die Vereine der näheren Umgebung dominierten mit ihrer Strahlkraft den Fußball, und der TSV Berg liegt quasi in einem Bermudadreieck der Traditionsvereine. Allen voran natürlich der heute in der Oberliga antretende FV Ravensburg. Aber auch der benachbarte SV Weingarten und die SG Baienfurt waren in Amateurligazeiten ein Begriff. Weiter nördlich hinterließ die SG Aulendorf ihre Fußabdrücke in der Geschichte, und in späterer Zeit erlebte der SV Mochenwangen seine erfolgreichen Jahre in der Verbandsliga Württemberg.

Nichts Großartiges, was der Verein aufzuweisen hätte. Ein biederer Dorfclub, der zumeist in der Kreisliga A gegen Mannschaften Umgebung antrat. Eine Trendwende begann 2005 und trug den Namen Hermann Müller, seines Zeichens Unternehmer (FPT Robotics), der in seiner aktiven Zeit selber noch die Stiefel für den TSV Berg schnürte. Dem SV Weingarten ist zu verdanken, dass der Unternehmer die Geschicke des Vereins in die Hand nahm. Sportlich abgestiegen, sollte nach Willen des Vereins Müller Vorstand werden. Dieser lehnte ab, da der Verein abgestiegen sei, und er hätte den Posten übernommen, wäre der Verein in der Liga geblieben. Das Schicksal erfüllte sich durch ein Aufstiegsrelegationsspiel, dass der benachbarte SV Weingarten für sich entschied und somit dem TSV Berg der Abstieg erspart blieb. Ein Mann, ein Wort. Müller kam, und der Erfolg mit ihm.

Das RAFI-Stadion in Berg bietet 400 Sitzplätze.
Im Durchschnitt schauen aber nur 225 Fans die Spiele des TSV.
Vieles hat sich seitdem in Berg verändert. Eine Tribüne für 400 Zuschauer wurde errichtet, benannt nach dem größten Arbeitgeber im Ort (RAFI), und der Verein erreichte 2006 den Aufsteig in die Bezirksliga Bodensee. 2009 kam der Aufstieg in die Landesliga, von wo es 2013 in die Verbandsliga ging. Dort erkämpfte sich der Neuling in der Premierensaison Platz 8. Für die Spielzeit 2014/15 hat man sich im Schussental ordentlich aus dem Kader des SC Pfullendorf verstärkt, auch aus Ravensburg und dem FC Wangen. Und mit Fabian Ammon tritt sogar ein EX-Normanne für den TSV an.

Passenderweise führt Berg ja 2 Leitern im Wappen, denn nicht zu Unrecht wurde der TSV als Aufstiegsfavorit gehandelt, wobei man offensichtlich vom badischen TSV Grunbach gelernt hat. Denn Verbandsliga kriegt der TSV Berg noch alleine hin, aber für eine Oberliga geistert der Name einer Spielvereinigung Schussental und die Bündelung heimischer Kräfte durch den Raum. Umso mehr überrascht das bisherige Abschneiden in der Saison. Gleich am ersten Spieltag gab es eine 0:3-Heimniederlage gegen Neckarsulm, und im Normannia-Stadion unterlag man deutlich mit 2:4. Mittlerweile hat sich das Team ein wenig stabilisiert, steht aber nichts destotrotz im Kampf gegen den Abstieg.



Beinahe hätten wir einen neuen Saisonrekord in Berg gesehen - einen Negativrekord. Denn die 150 Zuschauer vom Spiel gegen Göppingen (3:1) wurden offiziell nur um 4 Zahlende überboten. Gespielt wurde auf dem benachbarten Kunstrasenplatz, der zusammen mit der Zuschauerzahl den Tageseindruck einer Kreisklassenpartie verstärkte. Ein wenig fühlt man sich im Film "Feld der Träume", indem Kevin Kostner auf eine innere Stimme hört und ein Baseballfeld in einem Maisfeld baut. Ähnlich verloren wirkt ein wenig die herrliche 400-Zuschauer-Tribüne zwischen Neubaugebiet und Streuobstwiese. Das Vereinsheim hingegen ist dafür erste Sahne, was Speis' und Trank angeht, und lediglich den Handtrockner auf der Herrentoilette könnte man mal geräuschärmer machen. Eine Besonderheit in Berg ist übrigens, dass die Stadionwurst nicht auf einem ordinären Brötchen sondern auf einem Wasserwecken serviert wird.




Normannia-Lager
Für Normannia sah man guten Mutes in dieses Spiel. die Vorbereitung in der Winterpause verlief zufriedenstellend, Spieler, Betreuer und Fans blickten mit Optimismus aufs Spiel, auch wenn die Hausherren als Favoriten angesehen werden durfte. Dem Spiel kam durch die Tabellensituation eine besondere Tragweite zu. Normannia stand auf Platz 10 mit 22, Berg auf Platz 11 mit 21 Punkten, und die Abstiegsränge liegen nicht fern.

Zu den Besuchern auf dem RAFI-Kunstrasenplatz gesellte sich auch unser Fußballbereichsleiter Heinz Eyrainer, für den diese Gegend ja quasi Heimspiel ist. Liegen seine fußballerischen Wurzeln doch in Biberach und der Schwarzwald-Bodensee-Liga, wobei er zu seiner Zeit wohl eher in Ravensburg oder Weingarten antreten durfte.



Für etwas Verwirrung bei den Einheimischen sorgte unser Nico Schoch, der unermüdlich im Namen des "12. Mannes" trommelte, trötete, sang und rätschte. Stellenweise starrten besonders die "Erzkonservativen" mehr in seine Richtung als aufs Spielgeschehen. Man darf über seine Sangeskünste durchaus diskutieren, aber ohne ihn wäre es in Berg durchaus ruhig und beschaulich wie beim Hallenhalma zugegangen.



Unter den Kunstrasenplätzen im Ländle gehört der Berg gewiss nicht zu den schlechtesten, und gut über den Winter scheint er ja auch gekommen zu sein. Etwas ungewohnt hingegen ist die mangelnde Bande bzw. das sehr dicht am Spielfeldrand zu verharren, ohne ausreichend "Hinterland" zu besitzen. "Mittendrin statt nur dabei", so hieß einst ein Werbespruch zum Fernseh-TV. Hier exisitierte er förmlich im wahrsten Sinne des Wortes. Dennoch blieb mir durch den Zaun der Eindruck einer Partie in der Kreisliga Stuttgart haften. Auch die Sicht war nicht für alle bestens, vor allem ältere Semester hatten doch Mühe, eine bequeme Position zu erhaschen.

Kunstrasenidyll. Fußball in Berg
Beiden Mannschaften war nicht nach Sicherheitsspiel, und das durfte gefallen. Nervend waren nur die ständigen Spielunterbrechungen, weniger aufgrund Fouls und anderer Ruppigkeiten, sondern weil unentwegt ein Ball den Weg in die Freiheit wählte.

Keine Seltenheit: Berg im Vorwärtsgang

Timo Zimmer am Boden, aber kein Strafstoß.
In meinen Augen eine richtige Entscheidung.

Auf Normanniaseite gefiel Timo Zimmer, der unermüdlich rackerte und wackerte und ein wichtiger Motor der Mannschaft war. Lediglich die Szenerie im Strafraum Bergs - nenne ich es mal durch meine schwarz-rote Brille wohlwollend ein stolpern auf dem Kunstrasen - führte nicht zum erhofften Elfmeter sondern zur Verwarnung durch den Schiedsrichter. Diese Entscheidung führte in den Minuten danach zu Diskussionen im Publikum, aber ich denke der Schiedsrichter entschied richtig auf "kein Foul". Aber wie gesagt, die Sichtverhältnisse am Platz mögen dafür gesorgt haben, dass es an anderer Stelle rabiater wirkte.

Eine Zeigerumdrehung später - die Diskussion war noch nicht verebbt - erzielte der Gastgeber den Führungstreffer durch Christoph Dzierzawa. Nicht unverdient, denn die Normannia-Hintermannschaft wurde lehrbuchmäßig ausgespielt.


Doch Normannia wäre nicht Normannia, wenn sich die 111-jährige alte Dame von einem Rückstand gegen einen 56-jährigen Jüngling ins Bockshorn jagen lassen würde. Der Ausgleich 8 Minuten später durch Simon Fröhlich war nicht nur nicht weniger verdient als Bergs Führungstreffer. Der Treffer verdiente zudem einen Schönheitspreis, und aus meinem Standpunkt heraus genoß ich auch eine 1A-Aussicht auf das Tor.

Vorausgegangen war ein Eckstoß. Timo Zimmer brachte den Ball gezielt in den Strafraum, Simon Fröhlich springt höher als sein Bewacher - Treffer, versenkt! Jubel, aber auch zugegeben Erleichterung ob des frühen Ausgleichs machte sich breit.
Konzentrierter Anlauf....

...ein mustergültiger Kick mit Wumms ...

....gezielter Kopfball....

...Volltreffer!
Freude und Erleichterung

Allerdings währte die Freude nicht lange. Noch vor dem Seitenwechsel ging Berg wieder in Führung. Vorausgegangen war eine Szene, die man am besten mit dem Überfall eines hungrigen Fuchses in einem nächtlichen Hühnerstall umschreiben kann. Zumindest wirkte die Normannia-Abwehr in dem Moment ebenso unkonzentriert wie das domestizierte Federvieh, und während ein Rudel Normannen sich um einen Gegenspieler scharrt, blieb die linke Flanke ungedeckt. Bartosz Broniszewski hieß der Glückliche, der sich in die Torjägerliste einschrieb, und nicht nur dem Abwehrstrategen Musa Ayaz war zum Haare raufen zumute.



Die zweite Hälfte begann ungünstig. Normannia schien einen Durchhänger zu haben, wirkte zu Beginn unkonzentrierter. Für Berg ein gefundenes Fressen, denn die Gastgeber waren bemüht, ihre Führung auszubauen und drängten stets auf das Tor von Konstantin Kühnle, der beim auffrischenden Wind wenigstens nicht zu frieren begann.







Nach etwa einer Stunde war diese Bummelphase der Normannia endlich vorbei und es begann die putzmuntere Schlußphase der Partie. Gekrönt wurde diese Sturm- und Drangphase durch einen verschuldeten Elfmeter durch Berg, den ich in dieser Phase nicht nachvollziehen konnte. Denn zwar erspielte sich Normannia in der 74. Minute eine gute Position heraus, aber es war nicht zwingend eine torgefährliche Situation, so dass das Foul vom bereits mit Gelb belasteten Moritz Fäßler für mich (und auch den Berger Zuschauern um mich herum) unverständlich blieb. Wie auch immer, Timo Zimmer schnappte sich den Ball und mit seinem allseits bekannten Wumms hämmerte er den Ball zum verdienten Ausgleich. Bergs Torhüter Sebastian Willibald hatte zwar die Ecke geahnt, blieb aber gegen "Mr. Bombenschuß" ohne Chance.



Zwei ältere Herren aus Berg quittierten den Ausgleich auf ihre Art. "I han ja vor dem Schpiel auf a 3 zu 2 g'tippt. Na schtand i ja noch gut im Renna". Ich mußte mich daraufhin glatt einmischen. "Ich habe auf ein 6:2 für Gmünd getippt, da kann ja noch alles passieren" scherzte ich. "WAAAAAAS?!?!?" kam mit aufgerissenen Augen die schockierte Antwort. Erst als ich den beiden Herrn versicherte, nur gescherzt zu haben, beruhigte sich die Lage und sie stießen mit mir ins Gelächter ein.

Normannia in Bedrängnis. Doch Konstantin Kühnle und Musa Ayaz
wehren ab, Ex-Normanne Fabian Ammon bleibt ohne Chance.

In der Schlußphase hätte Normannia das Spiel sogar noch gewinnen können, im Endeffekt betrachte ich das Unentschieden aber als leisungsgerecht. Ein Spiel, das beide Mannschaften als Sieger hätte sehen können, ein Spiel, bei dem die Zuschauer vom Verlauf her auf ihre Kosten kamen und ein ideales Fußballwetter. Herz, was willst Du denn noch alles? Während die Schlußminuten laufen, marschieren die A-Jugendlichen von Berg und dem FC Leutkirch auf, die im Anschluß an die Verbandsligapartie um Punkte spielen. Hier blieb Berg wenigstens deutlich Sieger.

Aufmarsch der A-Jugend


War zufrieden mit der Partie:
Claus Breitenberger
Auch Claus "Bredi" Breitenberger zeigte sich zufrieden und war wie ich mit dem Ergebnis zufrieden. Ein 2:2 in Berg ist für Normannia durchaus als Erfolg zu bezeichnen, und die gezeigte Leistung der Schwerzerelf macht Mut für die kommenden Spiele.
Für den "Fußballbotschafter des Amateurfußballs" war es sicherlich kein Fehler, die Reise nach Berg in Angriff genommen zu haben.




Alles in allem ein schöner Fußballtag, wobei der Nutznießer der Punkteteilung wohl Olympia Laupheim war, das mit 3:0 gegen den FC Gärtringen siegreich blieb und nun nur noch 2 bzw. 3 Punkte hinter Berg und Normannia liegt. Nächste Woche empfängt die Schwerzerelf den FC 07 Albstadt. Wenn die Mannschaft an den Leistungen des heutigen Spieltages anknüpft, sehe ich guter Dinge auf das Spiel.

Mein persönlicher "Man of the Match" war heuer der unermüdliche Timo Zimmer, der nicht nur durch die Vorlage zum 1:1 und dem verwandelten Strafstoß auffiel, sondern stellvertretend für die ganze Elf einfach Moral bewies und Biss zeigte.


Und der TSV Berg? Ich gebe zu, ich tue mich noch etwas schwer mit dem Verein aus Oberschwaben. Es ist sicher nicht alles Gold, was glänzt, aber garantiert auch nicht nur "Geld! Geld! Geld!". Die Mannschaft ist wesentlich besser ist als es der Tabellenstand ausdrückt, und der Verein wird seinen Weg gehen, so oder so. Sportlich und von der Infrastruktur hat der Verein durchaus die Oberliga verdient. Mir mangelt es da nur an der Phantasie mir vorzustellen, wie sich die Fans des SSV Reutlingen durch die Jahnstraße quälen würden. Aber so weit ist es ja noch nicht. Denn das "Feld der Träume" träumt noch sein Oberligamärchen, und vielleicht bündelt sich ja doch alles zu einer Spielvereinigung Schussental.

1 Kommentar:

  1. Hallo Hansjürgen,
    ich darf doch Hansjürgen sagen (schreiben) ...oder?
    Also das ist schon phänomenal, wie du deine Berichte hier aufziehst, ...echt klasse und sehr informativ. Mein Kompliment!!!
    Was dein Bericht von unserem Spiel in Berg anbelangt, bin ich absolut - bis auf Nuancen - auf deiner Seite. Es war ein Genuss diesen inkl. der Hindergründe zu lesen.

    Lieben Gruß - Heinz Eyrainer

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