Montag, 20. Oktober 2014

"A weng komisch!" - TSG Backnang gegen Normannia Gmünd

Traditionsreicher Ground - Das Etzwiesenstadion.
Freitag, 30. April 2004. In der Verbandsliga Württemberg trafen im Etzwiesenstadion am 25. Spieltag der Tabellendreizehnte, Aufsteiger TSG Backnang, und der Tabellenführer, Normannia Gmünd aufeinander. Der Terminplan sah einen Anpfiff um 18:30 Uhr vor, und die glückliche Fügung wollte es, dass ich Augenzeuge des bis dahin letzten Ligaduells zwischen beiden Teams wurde. Über 10 Jahre ist das mittlerweile her, und es war in der Tat ein sehr denkwürdiges und emotionales Spiel. Vor 250 Zuschauern brachte Stani Bergheim, heute beim TSV Essingen, die Normannen in der 43. Minute in Führung, und in der 60. Minute erzielte derselbe den 2:0 Endstand, der Normannia den Aufstieg in die Oberliga einen großen Schritt näher brachte, während die TSG tiefer in den Abstiegskampf trudelte. Elf Minuten vor Spielende - es war ein offener Schlagabtausch - überstürzten sich die Ereignisse. Zunächst flog in der 79. Minute unser Leo Gjini, heute als Trainer beim TSGV Waldstetten aktiv, mit einer Gelb-Roten Karte vom Platz, dann sahen auf Backnangs Seite in der 83. Minute der Ex-Kirchheimer Matthias Walz und in der 86. Minute Weiß die Rote Karte.

In Erinnerung blieben mit die Zuschauer. Diese waren es damals schlicht nicht gewöhnt, dass meine Mannschaft lautstark anfeuern kann. "Höret auf mit dem Scheiß, was soll denn däs?", "Ganget doch da rüber wenn ihr so'n Krach macha müaßet!" waren noch die freundlichen Worte, die man hörte. "Na na", erwiderte ich damals, "wir sind beim Fußball, nicht beim Tennis". Nachdem der Sieg feststand, beschränkte man sich allenfalls auf hämische Kommentare wie "Was wollet ihr in der Oberliga? Do steigät ihr doch eh' glei wieder ab!" Ein ganzes Weltbild wurde in mir zerstört: bis dahin hielt ich nur das Gmünder Fußballpublikum für "a weng komisch". Wie auch immer, natürlich machte das Normannia nicht - zumindest nicht gleich - und mir gefiel das Etzwiesenstadion trotzdem.

Auch wenn im deutschen Fußball der Begriff "Traditionsverein" im Allgemeinen für Vereine angewendet wird, die vor 1914 gegründet wurden, so muß man dem im Jahre 1919 gegründeten TSG Backnang dennoch zu den württembergischen Traditionsteams hinzuzählen - ganz im Gegensatz zu einem anderen TSG-Verein aus Baden-Württemberg mit vermeintlich älterem Gründungsdatum. Vielleicht, weil der Verein auch schon vor dem Krieg in der Kreisliga auftauchte (Kreisliga, das war in der Weimarer Republik teilweise die 1. Liga, später die 2. Spielklasse im süddeutschen Ligasystem), andererseits durch seine Präsenz im Etzwiesenstadion seit 1925.


Im Gasthaus "Zum Kronprinzen" fand die Vereinsgründung statt, ein Jahr später wurde man in den Süddeutschen Fußballverband aufgenommen und startete in der C-Klasse. 1922 erfolgte bereits der Aufstieg in die B-Klasse. Ein besonderes Datum war der 20. September 1925. Da weihten die FV'ler mit einem Spiel gegen den VfB Ludwigsburg ihre heutige Heimat, den Etzwiesensportplatz ein. 1926 ging es in die dritthöchste Spielklasse, der A-Klasse.

Ein erster großer Erfolg war der Aufstieg 1930 in die Kreisliga Cannstatt, wo der FV erstmals auf die Gmünder Normannia traf. Beide Spiele gewannen übrigens die Lederstädter (3:2 in den Etzwiesen, 2:0 im Schwerzer), und der Aufsteiger schloß die Runde auf Platz 7 ab, während Normannia durch eine Ligareform in den neugebildeten Kreis Hohenstaufen wechselte (und dort auf Anhieb Meister wurde). Da konnte man auch eine 2:7-Heimniederlage gegen den Stuttgarter SC verschmerzen. Das "verflixte 2. Jahr" traf auch schon damals für Aufsteiger zu. Der FV Backnang wurde nur 9. und Vorletzter - Meister Stuttgarter SC blieb diesmal sogar mit 2:8 Sieger in den Etzwiesen. 1932/33 spielte Backnang richtig auf, belegte einen zufriedenstellenden 4. Platz, allerdings deutlich abgeschlagen zur Spitzengruppe. Trotz dieser für den Verein guten Platzierung gelang es nicht, die im Zuge der Machtergreifung 1933 erfolgten Ligareform die Zweitklassigkeit zu erhalten. Diesen Umstand korrigierten die Backnanger 1935 mit dem Aufstieg in die Bezirksklasse, den man 1938 nach einem Abstieg den erneuten Aufstieg entgegensetzte. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges kam der Spielbetrieb für den FV Backnang zum erliegen, 1945 wurden Platzanlage und Clubhaus durch Fliegerangriffe zerstört.

Nach dem Krieg erfolgte im April 1946 eine Neugründung als Sportvereinigung Backnang, einem Gesamtsportverein, in den auch der Turnerbund 1846, der Kraftsportverein 1920 und der Tennisverein 1925 mit einflossen. Die Fußballer starteten in der A-Klasse, stiegen auf Anhieb in die Bezirksklasse auf, aber auch gleich wieder ab. 1949 gelang jedoch der Wiederaufstieg, und 1950, bei Einführung der 2. Amateurliga, wurde die SpVgg gleich Gründungsmitglied der Staffel 2, zusammen mit Mannschaften wie dem altehrwürdigem VfR Heilbronn, dem TSV Crailsheim oder der TSG Öhringen. Die Mannschaft mit dem zweitbesten Sturm der Liga - in 26 Spielen erzielte man in der Premierensaison 107 Tore, alleine der TSV Crailsheim mußte auf eigenem Gelände mit 0:8 die Segel streichen - benannte sich 1951 in TSG Backnang um.

Im Schatten des Viadukts.
Schon immer war die TSG auch für ihre Heimstärke berühmt und berüchtigt, auch wenn es den einen oder anderen spektakulären Ausrutscher gab. Diese Heimstärke lernte die Gmünder Normannia am 15. Mai 1955 in der 2. Hauptrunde des WFV-Pokals kennen. Normannia, immerhin noch Mitglied in der 1. Amateurliga, fuhr in die Lederstadt, wo die heimische TSG mit einem recht ausgeglichenem Punkte- und Torekonto die 2. Amateurliga auf Platz 6 abschloß. Rein papiermäßig war die Favoritenrolle auf Normannia zugeschnitten, aber wie es bei Pokalspielen so ist, der Außenseiter bestimmte das Spiel. Nach 3 Minuten ging Backnang, Normannia konnte noch vor der Pause zum 2:1 das Spiel wenden, ging aber in den letzten 45 Minuten mit 2:3 unter. Ironischerweise wurde auch 1955 ein Normanne des Feldes verwiesen: Brenner erlaubte sich eine Schiedsrichterbeleidigung.

In der Liga trafen Normannia und Backnang erst wieder 1965/66 - dem Normannia-Meisterjahr - aufeinander, und von Gmünder Sicht mußte man bis zur Saison 1970/71 warten, bis man in den Etzwiesen siegen konnte (damals ein 4:2). Überhaupt blieb man bei 10 Ligaauftritten im Schatten des Viadukts der B14 nur 3x Sieger und spielte wenigstens einmal Unentschieden. Umgekehrt hielt man sich Zuhause oft schadlos an der TSG: 7 Siege, 1 Unentscheiden und nur 2 Niederlagen.

"Zum Sachsen"
Was den Normannen 1966 nicht gelang, das erledigten die Backnanger 1967: Aufstieg als Württembergischer Meister in die Regionalliga Süd, wobei nach den Aufstiegsspielen noch ein Entscheidungsspiel gegen den südbadischen Vertreter Offenburger FV herhalten mußte, dass die Lederstädter vor 10.000 Zuschauern in Pforzheim für sich entscheiden konnten. Regionalliga Süd, das hieß damals zweite Liga, nur noch die Bundesliga war höher. Die Begeisterung in der Lederstadt war groß, jedoch tanzte die TSG nur einen Sommer. Mit lediglich 4 Siegen stieg die Mannschaft postwendend ab und fand sich bis zur Ligareform 1979 in der Amateurliga Nordwürttemberg wieder. Allerdings wurde der Abstieg damals nur als einmaliger Ausrutscher angesehen, der Wiederaufstieg und gar die Etablierung in der Regionalliga stand auf der Agenda. Im November 1967 erfolgte zudem die Auslagerung der Fußballabteilung als "Verein im Verein", die fortan offiziell TSG Backnang Fußball heißt. Um diesen Zeitpunkt herum muß auch das sehr modern und grafisch anmutende Wappen mit dem Fußball und dem Viadukt eingeführt worden sein.

Ein besonderes Ereignis der jüngeren Vergangenheit war der WFV-Pokalsieg 1991 über den favorisierten Oberligisten SSV Reutlingen, der in Reutlingens Kreuzeiche 2:1 besiegt wurde. Noch zwei Tage vorher unterlagen die Backnanger in der Verbandsliga Zuhause 0:1 gegen das abgeschlagen Schlußlicht SV Oberzell.
Pech hatte man mit der Auslosung zum DFB-Pokal. Gab es in der 1. Hauptrunde noch ein Freilos, empfing man in der 2. Hauptrunde den nicht gerade für das Anlocken großer Fanmassen bekannte Suhler SV. Vor lediglich 650 Zuschauer flogen die Backnanger mit 1:3 aus allen Pokalträumen.

Die Normannen kommen!

Bei Einführung der Amateur-Oberliga Baden-Württemberg und Reform der darunterliegenden Spielklassen war Backnang Gründungsmitglied der Landesliga, Staffel 1, aus der sie jetzt mittlerweile zum viertenmal in die Verbandsliga aufstiegen. Wie bei manch' altem Traditionsverein fängt das Umfeld dann nach so einem Aufstieg gerne an, den Erfolg der Gegenwart mit den Schatten der Vergangenheit zu messen. Nicht wenige würden sich wohl gar einen Durchmarsch in die Oberliga wünschen, doch im Verein will man von solchen Phantastereien nichts wissen, sondern bleibt wohlweislich mit beiden Beinen auf den Boden.

Jeweils ein wichtiges Glied in ihrem Verein:
Marc Erdmann (TSG) und Bernhard Dangelmaier (Normannia)
Nichtsdestotrotz habe ich mich über den Aufstieg und das Wiedersehen mit der TSG Backnang gefreut, was ich den Verantwortlichen bei meiner Rückkehr bei Kaiserwetter auch offen sage. "Schön, dass Ihr wieder da seid und wieder höherklassiger spielt. Sage ich zumindest jetz. Vielleicht bin ich ja nachher nicht mehr so fröhlich". Es ist auch schön, wieder hier zu sein, auch wenn der Chauffeur und Mario zunächst einmal der falschen Beschilderung folgte. Dabei hätte er den Weg doch kennen müssen: war er schließlich auch vor 10 Jahren der Chauffeur. Aber als Geburtstagskind darf man das schon mal vergessen, und mit seiner Sonnenbrille und der dunklen Kleidung wirkte er auch eher wie ein Vizepräsident von Victoria Gmünd. Na, wenigstens trug er endlich mal wieder einen eigenen Normannia-Schal.


Ebenso wie vor 10 Jahren waren auch heute - sollten mich meine ergrauten Gehirnzellen nicht hinters Licht führen - Claus-Jörg Krischke und Claus "Bredi" Breitenberger im Stadion, wobei Letztgenannter im Gegensatz zu 2004 etwas glatter um Kinn und Stirn war.

Mit Gaetano Molinari und Nico Schoch befand sich eine kleine Abordnung der Fangruppe "12. Mann" vor Ort, zu denen ich mich - unterstützt von meinem Sohn - dann auch gesellte. Sehr zur Überraschung von Gaetano flaggte ich diesmal gleich doppelt - aber nicht in Schwarz-Rot, sondern den Flaggen von Wales. "Waaaales, Waaaaaaales, Cymruuuuuu!" wurde dann auch ein Schlachtruf meinerseits, die Schicksalsgöttinnen das Geschick der unermüdlichen Normannen einfach nicht zu besseren Gestaden lenken wollten.

Men of Harlech.

Man kann über das Etzwiesenstadion sagen was man will: man ist wahrlich mittendrin, steht förmlich am Spielfeldrand, könnte dem Linienrichter glatt das Bein stellen, ohne seinen Fuß allzuweit rauszustrecken. Backnang ist, wenn dir der Linienrichter ständig vor der Kameralinse rumhüpft und die ins Bild springt. Ein wenig tat er mir dafür auch leid, so nah am Normannia-Lärmpegel stehen zu müssen, und immer, wenn er vor mir auftauchte, lenkte ich die Tröte stets gen Himmel, weg von seinen Ohren.


Zuschauer. Auf der Tribüne saßen noch weitere 4 1/2 Fußballfreunde.
Erschreckend war lediglich der Zuschauerzuspruch. Zwischen 150 bis 200 Zuschauer fanden sich unterhalb des Viadukts ein, und der kleine aber lautstarke Normannia-Anhang machte akkustisch ein Heimspiel aus der Partie. Da muß ich als Anhänger der Gastmannschaft mit den Backnanger Sportfreunden schimpfen: gerade wenn es für die Mannschaft so gut läuft, hat die TSG einen weitaus größeren Zuspruch und mehr Unterstützung verdient! Ich will es mal gut sein lassen, und es auf das schöne Herbstwetter schließen. Aber im Prinzip ist Backnang ein ganz klarer Fall von "Glotze aus! Stadion an!"

Magnus Burkhardt war schon überwunden.
Jochen Baß erweist sich als guter Freund in der Not
Während aber wir Normannia-Fans ein Heimspiel aus der Partie machten, bzw. die Backnanger Fans uns ein Heimspiel schenkten, waren die TSG-Fußballer alles andere als erpicht darauf, etwas von ihrer Heimstärke freiwillig abzugeben. Von Beginn an wurde die Normannia-Hälfte unter Druck gesetzt, und hätte Jochen Baß den Ball nicht kurz vor der Torlinie aus der Luft geklärt, wäre der FCN schon vorzeitig in Rückstand geraten.

Marius Nuding im Zweikampf mit Marcel Zimmermann.
Der große Aufreger dann in der 33. Minute. Im Gmünder Strafraum wird Andreas Grimmer von Visar Mustafa gefoult! So fest auch die schwarz-rote Normannia-Brille auf der Nase sitzt - an der Berechtigung für den Elfmeter kann in keinster Weise gedeutelt. Der Platzverweise jedoch, der ruft gewaltigen Unmut hervor, und Schiedsrichter Steffen Lochner aus Künzelsau muß sich sehr emotionale Unmutsäußerungen anhören.

Hilft aber alles nichts. Stephen Fichtner läuft an, lockt Magnus Burkhardt in die falsche Ecke, und Backnang führt 1:0, und trotz Strafstoß nicht mal unverdient.











Bis zum Seitenwechsel war "Ruhe die oberste Bürgerpflicht" der Normannen, um den Rückstand nicht noch höher ausfallen zu lassen, während Gaetano Molinari und ich unsere Sangeskünste mit "Who let the dogs out?" in Versuchung führten. Für alle Zweifler: Gaetano kann in vier verschiedenen Stimmlagen bellen! Der Mann hat Galgenhumor bewiesen!

Die zweite Halbzeit brachte eine andere Normannia ins Spiel, taktisch umgestellt und Angriffslustig. Und doch, es waren wieder die Backnanger, die ein Tor bejubeln durften. Andreas Grimmer, in der ersten Hälfte im Gmünder Strafraum gelegt, legte nun den Ball ins Gmünder Tor, und nach 60 Minuten hieß es 2:0 für Backnang.

Machen wir es kurz. Backnang gewann verdient 2:0 und baute seine Heimbilanz gegen Normannia auf. Die Statistik lügt halt doch nicht. Nach wie vor bleibt die Normannia-Statistik gegen die TSG eine verrückte Sache, relativ ausgegelichen und wohl immer abhängig von der Spielstätte.

Trotz der gerechten Niederlage gab es etwas, was mir sehr gefiel. Die Moral der Normannia. Trotz Unterzahl gab es kein lamentieren, kein zurückstecken, und noch Minuten vor Schluß wurde der Weg nach Vorne gesucht, Backnang attackiert. Die Mannschaft zeigte Größe.




Lediglich das Happy End blieb aus, kein weiterer dieser seltenen Punktgewinne in Backnang wurde der Normannia-Statistik hinzugefügt.

Auf dem Weg zum Ausgang begleitete uns ein Backnanger. "Ha no, mi wurmt däs ja au a bissle mit Normannia. Eigentlich komm i ja aus 'em Rehnenhof und wohn' halt in Backnang".

Etwas niedergeschlagen fuhren wir nach Hause. Hoffnung liegt im nächsten Heimspiel gegen den FC Wangen 05, wenn wir wieder lautstarke Unterstützung aus dem hohen Norden erhalten werden.


Irgendwie war es ja dann doch schön in Backnang. Klar, die Niederlage tut weh, und etwas mehr Zuschauer hätte ich dem Aufsteiger ja auch gegönnt. Einen dicken Minuspunkt gibt es aber noch für die TSG. Man hat Helene Fischer gespielt! Zweimal! ZWEIMAL IN EINEM FUSSBALLSTADION "ATEMLOS DURCH DIE NACHT!" Vielleicht besteht ja ein Zusammenhang mit den Zuschauerzahlen im Etzwiesenstadion? Denkt mal drüber nach!



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen