Donnerstag, 8. Mai 2014

"Dich kenn' ich doch?" - TSGV Waldstetten gegen SSV Ulm 1846 II

Der Stuifen grüßt am Horizont - TSGV-Platz in Waldstetten.
Da reise ich Fußballbekloppter mit der Bahn nach Albstadt oder Tübingen, dabei übersah ich bislang, dass es in unmittelbarer Nachbarschaft auch tolle Vereine gibt. Nord oder Süd - Bettringen oder Waldstetten, so hieß für mich am Sonntag die Entscheidung, und ich entschied mich spontan für die 7.119-Einwohner Gemeinde Waldstetten am Fuße des Stuifens, einen der drei Kaiserberge. Den Landesliga-Neuling kann ich sogar zu Fuß erreichen - hin und zurück verspaziere ich knapp 8 Kilometer unter meinen Füßen. Zur Abwechslung mal angenehmer als eine lange Bahnfahrt. Vielleicht hilft der Spaziergang auch darüber hinweg, den Ärger über die Normannia-Niederlage in Bissingen zu verdauen.

Zu Gast beim TSGV Waldstetten ist die zweite Mannschaft des zur Zeit durch Vereinsquerelen gebeutelten SSV Ulm 1846 Fußball, die wie die erste Mannschaft gerade gegen den Abstieg kämpft. Zudem gibt es ein Wiedersehen mit Leo Gjini, der früher u. a. für Normannia die Kickschuhe schnürte und jetzt als Trainer des TSGV erfolgreich am Spielfeldrand steht.

TSGV - Das klingt zunächst mal sperrig, und hinter dem Kürzel verbirgt sich der Turn-, Sport- und Gesangsverein Waldstetten 1847, ein Mehrspartenverein, dessen Wurzeln tatsächlich auf den 1847 gegründeten Gesangsverein "Cäcillia" zurückgehen. 1872 folgte die Gründung des Turnvereins, der schließlich 1919 mit dem Gesangsverein fusionierte.

Die Fußballer spielten lange Zeit keine große Rolle und tauchen in den vergilbten Tabellen meines Archivs nur in den unteren Spielklassen auf. Legendär blieben in den Amateurligazeiten die Derbies gegen den Ortsrivalen FSV "Bombenschuß" Waldstetten, der in den 1980er Jahren ein kurzes Revival als FSV "Bombenschuß" Waldstetten II, die Söhne erlebte. In der jüngeren Vergangenheit war die Bezirksliga die Heimstatt des TSGV, ehe im vergangenen Jahr der Aufstieg in die Landesliga gefeiert werden konnte, in denen der Neuling bislang eine gute Figur macht.

Haupttor zum TSGV-Platz.
Der Seiteneingang. Vom Mittagstisch
direkt zum Fußball - Genial!










Allein die Aussicht vom TSGV-Platz läßt mein Herz als alter Albvereinler höher schlagen: im Süden stehen imposant der Stuifen und der Rechberg sowie das Panorama der Schwäbischen Alb, im Norden öffnet sich der Horizont weit in den Schwäbisch-Fränkischen Wald. Sollte der TSGV-Platz mal einen Namen bekommen, "Panoramastadion" wäre zutreffend. Außerdem bin ich überzeugt, ohne Fußballplatz wäre die Fläche gewiss schon mit Einfamilienhäuser bebaut.



Bei meinem Eintreffen kämpft gerade die zweite Mannschaft des TSGV in einer Partie der Kreisliga B gegen das Tor des SV Hussenhofen an, aber die Gastgeber verzweifelten förmlich an Torhüter Martin Kottmann. Waldstetten erlaubte sich sogar den Luxus, einen Elfmeter zu verschießen, und das 0:0 wurde von den Gästen ausgiebig gefeiert, während es für die TSGV II ein kleiner Rückschlag im Aufstiegsrennen darstellt.

Rino Speradio (rechts, mit Mütze)
schaut schon nach seinem Kameramann.
Für das Hauptspiel suche ich mir einen guten Sichtplatz unter der kleinen Tribüne, da werde ich bereits von Ulms Trainer Rino Speradio als Assistent "zwangsverpflichtet". Mit Blick auf meine Fototasche ist er der Ansicht, ich könne auch gleich seine Videokamera bedienen. Behufs meines Einwandes, der Akku zeige doch nur einen Strich an, meint er ziemlich gelassen, ich solle halt so lange filmen, wie es geht. In meiner Naivität denke ich, "na ja, so 10, 15 Minuten kann ich ja den Gefallen tun. Länger wird der Akku eh' nicht halten".




Hätte es sich um meine Videokamera gehandelt, hätte ich sogar recht behalten. So aber sehe ich von der ersten Halbzeit fast gar nichts, da ich stets bemüht bin, das Spiel möglichst wackelfrei festzuhalten. So viel Kameraehre muß sein, trotz der ungewohnten Perspektive, aus der ich das Spiel verfolge.
Waldstetten macht schnell von seinem Heimrecht gebrauch und stürmt sehr forsch auf das Tor der Ulmer. Die Ulmer, die gegen den Abstieg ankämpfen, wehren sich mehr als tapfer, allerdings lassen sich die Waldstetter auf eigenem Platz nicht den Schneid abkaufen.

Nach 25 Minuten fällt durch einen verwandelten Strafstoß der vielumjubelte Führungstreffer des TSGV. Das ist aber auch der einzige Zeitpunkt, indem das Publikum lautstark Anteil am Geschehen auf dem Fußballplatz nimmt. Ansonsten schaut man zu, unterhält sich über andere Themen, trinkt ein Bier oder verzehrt eine Wurst. Schals, Mützen oder andere Fanartikel? Abgesehen von den Vereinsklamotten der Spieler der zweiten Mannschaft - Fehlanzeige. Vor ein paar Wochen in Lorch, immerhin nur Kreisliga B, sah das schon wesentlich anders aus.

Die Trainer begrüßen sich.













Die Kamera indes hat Mitleid mit den Ulmer - kurz bevor Fabian Hollas das 2:0 in der 42. Minute erzielt, macht der Akku schlapp. So bleibt den elf Ulmern die Wiederholung bei der Nachbesprechung erspart. Und ich habe wieder Zeit, Fotos zu schießen und z. B. den Torjubel des TSGV festzuhalten.

Soeben fiel das 2:0 fürWaldstetten.
Mit gesenkten Häuptern in die Pause.










Die Halbzeit bringt für die Ulmer zunächst eine dringend benötigte Atempause und für mich die Gelegenheit, dem Ulmer Coach die Videokamera zurück zu geben und mich selber vom Amt des persönlichen Kameraassistenten zu entheben.

Nur mit Menschen wie ihn
funktioniert ein Verein:
Kurt Erhardt.
Als ich mich ein wenig umsehe, werde ich angesprochen. "Woher kenne ich dich jetzt", rätselt Kurt Erhardt bei meinen Anblick. Die Frage ist leicht beantwortet, denn ich erkenne ich auch sofort: vom Albmarathon und vom DRK-12-Stundenlauf. Denn er ist nicht nur Betreuer bei der 2. Mannschaft des TSGV, sondern auch Wettkampfrichter für den DLV, und als solchen habe ich ihn schon in meiner Läuferzeit mehrmals erlebt. Überrascht war ich lediglich, dass er sich auch ehrenamtlich im Fußball engagiert.

Lediglich von meiner Aussage, dass ich meine Laufschuhe an den Nagel gehängt habe, will er sich nicht so richtig abfinden.




Die 2. Halbzeit zeigt eine aggressivere Ulmer Mannschaft, die offensichtlich gewillt ist, das 0:2 noch in ein verwertbares Ergebnis umzuwandeln. Hätte man vielleicht von Seiten der Gastgeber geglaubt, jetzt eine ruhigere Kugel schieben zu können, so lehrten die Spatzen das Gegenteil. Zumindest moralisch lieferten die Ulmer eine gute Partie, und die Waldstetter Löwen mußten sich anstrengen, damit das Spiel nicht noch in den Ulmer Fußballannalen als "das Wunder von der Ostalb" eingeht.

Gut gelaunt: Bürgermeister
Michael Rembold (m.)
Noch in der 1. Halbzeit ist auch Waldstettens Bürgermeister
Michael Rembold eingetroffen, der nun sichtlich erfreut von der TSGV-Kommandobrücke das Spielgeschehen verfolgt.

Mittlerweile wechsle ich die Position, um das Spiel ein wenig in der Sonne zu genießen. Hinter dem Tor befindet sich förmlich eine große Liegewiese, und irgendwie ist es total entspannend, sich im warmen Gras niederzulassen.




Anders, als es der Spielstand vermuten lassen könnte, ist vor dem Tor von Waldstettens Keeper Jürgen Morbitzer einiges los. Ulm rennt verzweifelt an, jedoch gibt sich Waldstettens Nr. 1 keine Blöße.

"Du kommst hier nicht rein" - Morbitzer hält den Kasten sauber.
Manchmal muß man
einfach laut sein.
"Wer hät g'denkt, das m'r im erschten Jahr so guat dastandet?" sagt ein älterer Herr zu mir. Ja, so wie es aussieht, scheint sich der TSGV sehr wohl zu fühlen in der Landesliga. Wir unterhalten uns über den Fußball in Waldstetten, ich erfahre, dass er früher mal für die Sportfreunde Gmünd in der 2. Amateurliga die Stiefel geschnürt hat - lang, lang ist es her. "Aber ein paar Zuschauer mehr hätte Waldstetten schon verdient", meine ich zu ihm. "Hano, des isch halt die Zwoite von Ulm. Da kummt doch koiner von dene mit" - "Nun ja, aber eigentlich meine ich ja schon die Heimzuschauer". "Ha ja, da send die Derbys gega Bargau, da isch immer was los hier, ond näscht's Jahr isch wahrscheinlich no' Bettringen dabei, ond vielleicht au..." Mir zuliebe - das scheint die hiesige Gastfreundschaft zu sein, spricht er nicht aus, dass er klammheimlich auch von Derbys gegen Normannia Gmünd träumt. Seine Frau drängelt - Frauen haben nie so das Verständnis für Amateurfußball - und wir verabschieden uns, ohne das ich es vergesse, mich für das nette Gespräch zu bedanken.

Die Fußballer indes haben ihre Tore für die letzten Minuten aufgespart: Kleinmann, Buhl und Cinar heißen die Torschützen für den TSGV in der 87., 89. und 90. Minute. Hätte ich mich hinter dem Tor der Ulmer aufgestellt, hätte es eindeutig mehr zum sehen gegeben. Waldstetten reißt mit dem Schlußpfiff die Arme hoch. Ein 5:0 kann sich sehen lassen, und dem Klassenerhalt kann man langsam aber sicher fest einplanen, während Ulm auf einen Abstiegsplatz abgerutscht ist.

Schlußpfiff in Waldstetten.
Feiert mit seinem Team: Leo Gjini.
Redet mit seinem Team: Rino Speradio.











Spielberichte:
TSGV Waldstetten: Glückseligkeit unterm Rechberg
Augsburger Allgemeine: Absturz auf einen Abstiegsplatz
Südwest-Presse: Die "Zweite" des SSV 46 im freien Fall - 0:5

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